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Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence

Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence

Titel: Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Robertson
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worden, mit zu Gullivers Rockunterricht zu kommen!
    Eine leise Stimme in Aishes Kopf meldete sich: Dein Plan, mehr Intimität zwischen euch zu schaffen, ist grandios gescheitert– das weißt du doch, oder? Diesen Sonntag hattest du deine Chance, und du hast sie vermasselt. Zunichte gemacht wie der Hurrikan Katrina. Seither ist er auf Distanz. Als Gulliver das letzte Mal nicht da war, ist er jedenfalls nicht gekommen? Das weißt du ganz genau, du hast schließlich auf ihn gewartet. Den ganzen Nachmittag lang.
    Klappe, befahl Aishe der Stimme. Du weißt nicht, warum er nicht gekommen ist. Außerdem hab ich ihm mehr erzählt als irgendjemand anderem. Also steck dir das sonst wohin!
    Gar nichts hast du ihm erzählt, sagte die Stimme. Und dann hast du gesagt, er wäre dir nicht männlich genug. Er hat seine Seele vor dir entblößt, und du hast ihm einen Tritt in den Hintern gegeben. Wieder mal. Er mag zwar jung sein, aber auch er hat seinen Stolz. Außerdem scheint er nicht so verzweifelt zu sein, wie du dachtest.
    Ich hasse dich, sagte Aishe. Ich bin froh, dass du tot bist.
    Die Stimme in ihrem Kopf lachte leise und verschwand. Aishe verspürte den Drang, jemandem weh zu tun.
    Aber als sie Gulliver ansah, verflüchtigte er sich sofort. Da war ihr Junge. Eher gesagt: ihr junger Mann– daran kam man nicht mehr vorbei. Sie bemerkte es an seinen breiten Schultern und an seinem Oberkörper, der sich zu seinen schmalen Hüften hin verjüngte, anstatt wie früher in einer kleinen Speckrolle über dem Gürtel zu enden. Sie sah, wie lang seine Beine geworden waren– in den letzten Monaten war er schon wieder gewachsen und würde bald neue Jeans brauchen. Auch sein Gesicht war länger geworden, und Nase und Kinn ragten weiter hervor. Jonas’ Nase, bemerkte sie mit leichtem Groll, aber das konnte sie ihm wohl lassen, da alles andere an Gulliver eindeutig von den Hernes stammte. Er hatte ihre Augen, die dunkelroten Locken seines Onkels und einen Zug um den Mund, der Aishe an Anselo und ihren Vater erinnerte. Beide Männer hatten denselben schönen, geschwungenen Mund, der bei Anselo leicht trotzig wirken konnte, bei ihrem Vater dagegen bedrohlich streng. Und der bei beiden lebendig und beweglich wurde, wenn sie etwas amüsierte.
    Das war bei ihrem Vater häufiger der Fall gewesen als bei Anselo, dachte Aishe. Die Ursache war oftmals die Ernsthaftigkeit meines Bruders. Armer Anse, dachte sie. Du hast nie gemerkt, wenn Dad dich auf den Arm nahm. Eigentlich wollte er nur, dass du ein bisschen lockerer wirst und dein Leben mehr genießt, stattdessen hat er dich damit immer auf die Palme getrieben.
    Dad hätte Gulliver geliebt, dachte sie und spürte einen Kloß im Hals. Gulliver ist genau so, wie er sich junge Männer vorstellte: rücksichtsvoll, in sich ruhend und unbeschwert. Dad mochte es auch, wenn jemand Energie hatte, aber sie musste produktiv genutzt werden; er verachtete meine älteren Brüder für ihre Bulldozerart. Obwohl sie jetzt mit Sicherheit zahmer sind, dachte Aishe. Gezähmt von ihren eierquetschenden Frauen.
    Das Traurigste von allem ist, dass nur meine älteren Brüder Dad zeigen konnten, aus welchem Holz sie geschnitzt waren. Als er starb, war Anselo zwölf und ich noch nicht mal elf. In Dads Augen noch Kinder. Er hat uns nie erwachsen gesehen. Nie die Möglichkeit gehabt, an unserem Leben teilzuhaben, an dem, was wir lieben, an dem, was wir verloren haben. Er hat nie mein Kind kennengelernt. Er hätte ihn geliebt, davon war Aishe überzeugt, sie schwelgte förmlich in dieser Vorstellung. Wenn es einen Gott gibt, hat er ein großes Unrecht begangen, als er uns Vater genommen hat.
    Plötzlich schwenkten ihre Gedanken zurück zu Benedict. Wenn sein Vater sterben würde, wäre er wahrscheinlich erleichtert, dachte sie, und überraschenderweise stimmte dieser Gedanke sie traurig. Ich kann mir nicht vorstellen, so wenig Zuneigung erfahren zu haben, dachte sie. Andererseits vermisst man vielleicht nicht, was man nie gehabt hat. Während sich der Verlust meines Vaters noch nach zweiundzwanzig Jahren anfühlt, als würde mir jemand das Herz aus der Brust reißen.
    » Wow! Guck dir das an!«
    Gulliver stieß sie an und zeigte auf den See.
    » Der Vogel hat einen Fisch gefangen!« Er machte eine Tauchbewegung mit der Hand. » Wie ein Kampfflieger direkt ins Wasser gestürzt– bam! Und dann mit einem beschissenen Fisch wieder aufgetaucht! Unglaublich!«
    » Du pöbelst«, sagte Aishe. » In dieser Familie bin ich die

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