Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
Aber vielleicht verstehen sie sich ja nicht.«
» Sie sind jung, attraktiv und allein. Du musst sie nur überreden, sich in einer Bar zu treffen, dann ist die Sache geritzt. Ab da werden Alkohol und Hormone den Rest erledigen.«
Connie sah sie forschend an. » Wenn dieser Benedict wirklich ein so hübscher, feiner Junge ist, warum hat er dann noch kein nettes Mädchen gefunden?«
» Feiner Junge? Meine Güte, jetzt sind wir aber wirklich wieder im Jahr 1855 gelandet!«, meinte Mo und fuhr fort: » Er hat schon jemanden gefunden, aber sie ist weder nett noch ein Mädchen. Ich mag sie zwar sehr, aber für ihn ist sie schrecklich!«
» Ist er auch dieser Meinung?«
» Jetzt sieh mich nicht so an wie eine Gouvernante, Mädel! Zufällig ist er nicht dieser Meinung. Er hält sie für die Liebe seines Lebens und glaubt, wenn er sich nur ein bisschen mehr Mühe gibt, wird er sie knacken und ihr Herz aus Eis zum Schmelzen bringen. Da täuscht er sich natürlich. In ihrem Herz aus Eis treiben nämlich nur noch mehr Eisschollen, versetzt mit trockenem Schotter tiefsten Misstrauens.«
» Du scheinst dir da sehr sicher zu sein«, sagte Connie und klang kein bisschen sicher.
» Ich übertreibe«, räumte Mo ein. » Wie du dir vielleicht schon gedacht hast. Aber sie behandelt ihn sehr schlecht, und er leidet. Also würde ich dieser Izzy gerne eine Chance geben. Wenn sie Neuseeländerin ist, ist sie wahrscheinlich klasse.«
Aus dem Kinderzimmer ertönte ein Kreischen, das man normalerweise mit dem Geheul einer irischen Todesfee verband. Connie fasste sich ans Herz. » Gute Güte!«
» Diese Eigenschaft würde ich meiner geliebten Tochter eigentlich nicht zuschreiben«, erklärte Mo. Sie sah auf ihre Uhr. » Aber wahrscheinlich können wir schon dankbar sein, dass sie so lange geschlafen hat.« Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf.
Connie zögerte. » Darf ich mitkommen und zusehen?«
» Natürlich«, sagte Mo. » Du darfst sie sogar mal halten. Aber achte darauf, dass sie mit ihren Händen nicht an dein Gesicht, deine Ohren oder deine Haare kommt. Und halte deine Finger von ihrem Mund fern.«
» Das klingt ja, als hieltest du sie für ein tollwütiges Äffchen«, sagte Connie und folgte Mo durch den Flur.
» Tollwütiges Äffchen?« Mo blieb stehen und neigte nachdenklich den Kopf. » Weißt du was? Ich glaube, das wäre ein guter neuer Spitzname für sie. Kommt jedenfalls leichter über die Zunge als höllische Hexenbrut.«
» Aber du liebst sie doch, oder?«
Mo sah, dass Connie sich nicht ganz sicher war.
» Ich liebe sie über alles«, sagte sie. » Ich würde ohne zu überlegen mein Leben für sie geben.«
Sie legte die Hand auf den Knauf zu Rosies Zimmer. » Wappne dich«, warnte sie. » Wir gehen jetzt rein.«
20
Gulliver und Aishe saßen auf einem Felsen, der über einen See ragte. Er war zwar vergleichsweise klein, aber malerisch von einem dichten, dunkelgrünen Wald umgeben, in dem es vor Vögeln wimmelte. Der Haupteingang zum Park und den Wanderwegen lag am Ende einer Straße in Marin Countys reichstem Städtchen. Aishe hatte gehört, dass es sogar eines der reichsten in den gesamten Vereinigten Staaten war. Wenn man bedachte, dass es nicht einmal dreitausend Einwohner hatte, blieb Aishe nur der Schluss, dass hier wohl niemand wohnte, der im Sunshine Café Truck Stop kellnerte– oder es auch nur gepachtet hatte.
Aishe warf einen Blick auf Gulliver, der gerade ein Sandwich aß, und fragte sich, ob er wusste, wovon sie eigentlich lebten. Sie hatte es ihm nie gesagt, aber er war ja nicht blöd und musste deshalb– genau wie Benedict– herausgefunden haben, dass man mit dem Lohn einer Teilzeitkellnerin weder ein Auto noch ein Dach über dem Kopf finanzieren konnte. Ich sollte es ihm sagen, dachte sie. Er ist eindeutig alt genug.
Ihr kam der Gedanke, dass sie ihm so einiges sagen sollte. Zum Beispiel den vollen Namen seines Vaters. Aishe hatte immer behauptet, sie sei bei einem One-Night-Stand mit jemandem schwanger geworden, den sie nur als ›Jonas‹ kannte. Es war ihr lieber, von ihrem Sohn als Flittchen angesehen zu werden, als zu riskieren, dass er eines Tages seinen Vater ausfindig machen wollte. Das würde Aishe auf keinen Fall zulassen. Es war mehr als wahrscheinlich, dass Jonas einfach die Flucht ergreifen würde, wenn er erfuhr, dass er einen Sohn hatte. Andererseits, dachte Aishe, weiß man nie, wie ein Mensch sich im Lauf der Zeit ändert. Jonas könnte reifer geworden sein.
Weitere Kostenlose Bücher