Das Niebelungenlied
Fährmann. Er hob ein mächtiges Ruder auf und schwang es gegen Hagen, daß er strauchelte in der Fähre. Da wurde Hagen zornig. Ein so grimmiger Fährmann war ihm noch nicht begegnet. Der wollte den anmaßlichen Fremdling noch mehr erzürnen und schlug Hagen eine Ruderstange über den Kopf, daß sie zerbrach, denn er war ein starker Mann. Aber das sollte ihm übel bekommen. Hagen griff schnell nach seinem Schwert und schlug ihm den Kopf ab und warf ihn ins Wasser. Während des Kampfes war aber die Fähre stromabwärts getrieben, und Hagen ärgerte sich darüber. Ehe er sie zurückgelenkt hatte, wurde er müde, aber er zog kräftig und wendete sie mit schnellen kräftigen Schlägen, bis ihm das Ruder in der Hand zerbrach. Da band er es mit seinem Schildriemen, einem schmalen Band, zusammen. Er lenkte auf einen Wald zu, wo er seinen Herrn am Ufer stehen sah. Die Ritter gingen ihm entgegen und begrüßten ihn. Da sahen sie in der Fähre das Blut des Fährmanns rauchen und überschütteten ihn mit Fragen. Gunther sah das frische Blut und fragte, was aus dem Fährmann geworden sei. »Ich glaube, Ihr habt ihn umgebracht.« Hagen leugnete es: »Ich habe das Schiff von einem Weidenbaum losgebunden, einen Fährmann habe ich nicht gesehen. Ich habe hier niemand etwas zuleide getan.«
Gêrnôt sagte: »Heute muß ich den Tod lieber Freunde befürchten. Wir haben keine Fährleute, und ich bin besorgt, wie wir hinüberkommen sollen.« Da rief Hagen: »Ihr Knechte, nehmt das Zaumzeug ab. Ich meine, ich waram Rhein der beste Fährmann; ich traue mir auch zu, Euch sicher in Gelpfrâts Land zu bringen.« Damit sie schneller über den Strom kamen, trieben sie die Pferde mit Schlägen an; sie schwammen so gut, daß die Strömung ihnen nicht ein einziges nahm. Einige, die müde waren, trieben weit stromab. Dann trugen die Burgunden ihr Gold und ihre Ausrüstung zum Schiff, denn sie wollten die Reise nicht länger aufschieben. Hagen war der Fährmann und setzte sie über ins fremde Land. Beim erstenmal nahm er tausend Ritter, dann seine eigenen Männer, und nach ihnen waren es noch neuntausend Knechte oder noch mehr. An diesem Tag hatte er schwer zu arbeiten. Während er sie sicher hinüberbrachte, dachte er an die Reden der Meerfrauen, und da ging es dem Kaplan des Königs beinahe ans Leben. Er sah ihn bei dem gottesdienstlichen Gepäck, er lehnte über dem Kirchengerät, aber das half ihm nichts; als Hagen ihn erblickt hatte, kam der arme Priester in Bedrängnis. Er warf ihn in plötzlichem Zorn aus dem Schiff. Viele riefen: »Rettet, rettet, ihr Herrn!« Gîselher wurde wütend. Einem Unschuldigen sollte nichts geschehen. Gêrnôt sagte: »Was habt Ihr vom Tod des Kaplans? Hätte das ein anderer getan, es sollte ihm leid tun. Warum seid Ihr dem Priester feind?« Der Priester suchte sich mühsam über Wasser zu halten und hoffte auf Hilfe, aber dazu kam es nicht wegen Hagens Jähzorn. Hagen stieß ihn unter Wasser. Das mißfiel ihnen allen. Als der Priester keine Rettung sah, kehrte er um in seiner Not. Er konnte zwar nicht schwimmen, aber Gottes Hand half ihm, unversehrt das Ufer zu erreichen. Da stand der Ärmste und schüttelte seine Kleider. Hagen erkannte, daß die Vorhersage der Meerfrauen unabwendbar war. Er dachte: ›Diese Kämpfer werden alle ums Leben kommen.‹ Als sie das Schiff entladen und ihr Gut weggetragen hatten, schlug Hagen die Fähre zu Stücken undwarf sie in den Strom. Die Ritter verwunderten sich. »Wozu tut Ihr das, Bruder?« fragte Dancwart. »Wie sollen wir hinüberkommen, wenn wir aus dem Hunnenland zurückkehren?« Hagen sagte: »Wenn wir jemand bei uns haben, der aus Angst und Feigheit weglaufen will, muß er an diesem Strom doch zuschanden werden. Deswegen habe ich es getan.« Aber einer war bei ihnen, das war Volkêr, der allen geschickt seine Meinung beibrachte; ihm schien alles gut, was Hagen anfing. Ihre Pferde waren gesattelt, die Lasttiere beladen. Sie hatten unterwegs noch keinen störenden Verlust erlitten – nur den des Kaplans. Der mußte zu Fuß zurück zum Rhein gehen.
26 . WIE GELPFRÂT VON DANCWART ERSCHLAGEN WURDE
Als sie nun alle auf dem Ufer waren, fragte der König: »Wer wird uns den rechten Weg durch dies Land führen, damit wir uns nicht verirren?« Da sagte Volkêr: »Ich will es tun.«
»Nun seid einmal still, Ritter und Knechte«, sagte Hagen. »Seinen Freunden muß man folgen, das scheint mir gut und in Ordnung. Ich habe eine schlimme Nachricht für euch: Wir werden niemals
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