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Das Niebelungenlied

Das Niebelungenlied

Titel: Das Niebelungenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Bierwisch
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der Hand, ihre Mutter führte Gunther, so gingen sie fröhlich weiter. Rüedegêr ging neben Gêrnôt, als sie in den großen Saal kamen. Dort setzten sich die Frauen und Ritter, der Willkommenstrunk wurde ihnen gebracht. Besser konnten sie nicht bewirtet werden. Rüedegêrs Tochter wurde oft angesehen, mancher Ritter betrachtete sie mit zärtlichen Gedanken, und das war kein Wunder, denn sie war von festlicher Heiterkeit. Jeder dachte an seine Wünsche. Freilich konnten die nicht Wirklichkeit werden. Aber die Blicke gingen hin und her zwischen den Rittern und den vielen Frauen, die da saßen. Dann trennten sie sich, wie die Sitte es vorschrieb, Ritter und Frauen. Nun wurden im Saal die Tische hergerichtet.
    Den Gästen zuliebe erschien die Markgräfin an der Tafel der Herren. Ihre Tochter ließ sie bei den jungen Mädchen zurück, so war es Brauch, aber die Gäste waren betrübt, daß sie sie nicht mehr sahen. Als man gegessen und getrunken hatte, kamen die Schönen wieder in den Saal. Scherzhafte Reden blieben da nicht lange aus, mit denen besonders Volkêr sich hervortat. Vor aller Ohren sagte er: »Markgraf, Gott ist Euch gnädig gewesen, als er Euch eine so schöne Frau gab und so glückliche Lebensumstände. Wär’ ich ein Fürst und trüg’ ich eine Krone, so wollte ich Eure schöne Tochter zur Frau haben, wirklich, das wünsche ich mir. Sie ist so wunderbar anzusehen, und dazu vornehm und gut erzogen.« Darauf antwortete der Markgraf: »Wie sollte ein König meine liebe Tochter zur Frau haben wollen? Wir sind beide in der Fremde 4 hier, meine Frau und ich, was hilft einem Mädchen da seine Schönheit?« Da sagte Gêrnôt, wenn er sich eine Frau wünschen dürfte, wolle er über diese durchaus glücklich sein; und Hagen
    meinte. »Mein Herr Gîselher sollte endlich eine Frau nehmen. Die Markgräfin ist von so hoher Herkunft, daß wir ihr gerne dienen wollen, wenn sie in Burgund die Krone trägt.« Diese Rede gefiel Rüedegêr und Gotelint sehr, sie freuten sich. Dann machten die Männer aus, daß Gîselher sie zur Frau nehmen werde. Wie sollte man verhindern, was sich von selbst ergibt? Man bat das Mädchen vor die männlichen Angehörigen, und sie schworen, sie Gîselher zur Frau zu geben, und auch er versprach ihr die Ehe. Gunther wies ihr Land und Burgen zu, und er und Gêrnôt legten es eidlich fest. Der Markgraf sagte »Da ich nun einmal keine Burgen habe, will ich Euch immer freundschaftlich verbunden sein. Ich gebe meiner Tochter als Mitgift so viel Silber und Gold, wie hundert Packpferde eben tragen können, damit Gîselhers Verwandte in Ehren einverstanden sein können.« Dem Brauch gemäß traten sie in den Kreis. Viele Jünglinge umstanden sie in fröhlicher Laune mit Gedanken, wie junge Leute sie immer gern haben. Dem Mädchen war es ein wenig unangenehm, als man sie fragte, ob sie den Ritter nehmen wolle, obwohl sie doch dazu entschlossen war; sie schämte sich wegen der Frage, wie es die Mädchen immer tun. Ihr Vater riet ihr, ja zu sagen und ihn zu nehmen. Sehr rasch war Gîselher zur Stelle und umschloß sie mit seinen Händen; seine Liebe jedoch sollte sie nicht mehr genießen. Der Markgraf sagte: »Edle Könige, ich gebe Euch meine Tochter mit, wie es üblich ist, wenn Ihr nach Burgund zurückreitet.« Damit waren sie einverstanden. Nun nahm der fröhliche Lärm ein Ende; die Mädchen wurden in ihre Kammern geschickt, und die Gäste legten sich schlafen bis zum Morgen.
    Dann bewirtete man sie mit guten Speisen, und als sie gegessen hatten, wollten sie weiterreiten in das Hunnenland. »Das werde ich zu verhindern suchen«, sagte der Gastgeber.»Bleibt doch noch hier, ich habe selten so liebe Gäste gehabt.« Aber Dancwart erwiderte, das sei nicht möglich. »Wo wollt Ihr Brot und Wein hernehmen, die Ihr heute noch für so viele Ritter brauchen würdet?« Rüedegêr sagte: »So sollt Ihr nicht reden. Liebe Herren, schlagt es mir nicht ab. Und wenn ich Euch mit allem Eurem Gesinde vierzehn Tage lang bewirtete: König Etzel hat es mir noch an nichts fehlen lassen.« Wie sehr sie auch widerstrebten, sie mußten doch bis zum vierten Morgen dableiben. Dann gab Rüedegêr – was seine Freigebigkeit weithin bekannt machte – seinen Gästen sowohl Pferde als auch Kleider. Länger durfte es nun nicht dauern, sie mußten weiter. Rüedegêr konnte nichts retten vor seiner eigenen Großzügigkeit; was einer gern haben wollte, schenkte er ihm; das mußte allen gefallen. Das Gesinde führte die Pferde

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