Das Niebelungenlied
ausgerichtet hatten. Da versuchte sie es anders. Ihr Zorn war groß, und kühne Ritter mußten deswegen sterben.
31 . WIE SIE ZUR KIRCHE GINGEN
»Der Harnisch wird mir so kühl«, sagte Volkêr, »ich glaube, die Nacht dauert nicht mehr lange. Ich merke es an der Luft, bald wird es Tag sein.« Da weckten sie die Schläfer, und der helle Morgen leuchtete im Saal über den Burgunden auf.
Hagen fragte die Ritter, ob sie zur Messe gehen wollten. Überall begannen die Glocken zu läuten nach christlicher Sitte. Es war offensichtlich, daß die Christen und die Heiden die Messe in verschiedener Art sangen, sie stimmten nicht überein. Gunthers Leute wollten zur Kirche gehen, sie waren alsbald aufgestanden. Sie legten ihre prächtigen Gewänder an. Das gefiel Hagen nicht. Er sagte: »Ihr solltet Euch hier anders kleiden. Genug unter Euch wissen doch, wie es steht. Statt der Rosen tragt Schwerter in der Hand, statt der Stirnreifen die Helme, denn wir kennen jetzt doch Kriemhilts Gesinnung. Heute gibt es Kampf, das sage ich Euch. Statt der seidenen Hemden tragt Panzer, statt der Mäntel die Schilde, damit Ihr gerüstet seid, wenn einer mit Euch kämpfen will. Meine lieben Herren, Freunde und Männer: Geht guten Willens zur Kirche und klagt Gott Eure Sorge und Bedrängnis, seid dessen eingedenk, daß der Tod uns bevorsteht. Beichtet alles, was Ihr getan habt, tretet andächtig vor Gott. Denn ich sage Euch: Wenn er es nicht verhindert, ist dies Eure letzte Messe.« So gingen die Fürsten mit ihrem Gefolge zur Kirche. Auf dem heiligen Kirchplatz ließ Hagen sie anhalten, damit sie sich nicht trennten. Er sagte: »Keiner weiß, was uns von den Hunnen zustößt. Legt die Schilde vor Euren Füßen nieder und vergeltet es mit schweren Wunden, wenn Euch einer angreift: Das ist mein Rat. Bewährt Euch rühmlich.«
Dann traten Hagen und Volkêr vor die riesige Kirche, denn sie glaubten zu wissen, daß Kriemhilt sie im Gedränge anfallen werde. Da kam der König mit seiner schönen Frau. Sie war kostbar gekleidet und geschmückt. Ihre Krieger begleiteten sie, der Staub wirbelte hoch auf. Als der König die Burgunden bewaffnet sah, fragte er sofort: »Warum tragen meine Freunde die Helme? Wenn jemand ihnen etwas angetan hat, tut mir das ehrlich leid. Ich will sie entschädigen,wie sie es wünschen. Ich werde beweisen, daß ich nicht dulde, daß sie gekränkt werden. Ich werde ihnen jeden Anspruch erfüllen.« Darauf antwortete Hagen: »Uns hat niemand etwas getan. Es ist ein Brauch meiner Herren, daß sie bei jedem Fest drei Tage lang die Waffen tragen. Wir würden es Euch schon sagen, wenn man uns etwas täte.« Kriemhilt hörte ihm aufmerksam zu. Sie sah ihm feindselig ins Gesicht. Sie wollte nichts über die burgundischen Sitten sagen, obwohl sie sie aus langer Erfahrung kannte. So erbittert feind sie ihnen auch war, hätte jemand jetzt Etzel die Wahrheit gesagt, so hätte der verhindert, was dann geschah. Aber sie verschwiegen es ihm in ihrem Hochmut.
Die Königin ging mit großem Gefolge weiter, aber Hagen und Volkêr wollten ihr nicht zwei Handbreit ausweichen, so daß sie sich an ihnen vorbeidrängen mußte. Etzels Kämmerern gefiel das wenig, und sie hätten die Fremden zurechtgewiesen, wenn sie das hätten wagen dürfen vor dem König. So gab es ein großes Gedränge, aber doch nichts Schlimmeres.
Nach dem Gottesdienst kamen die hunnischen Ritter auf Pferden daher. Kriemhilt folgten viele schöne Mädchen, siebentausend Ritter begleiteten sie. Kriemhilt ließ sich neben Etzel am Fenster nieder, darüber freute er sich. Sie wollten dem Auftritt zusehen. Und wie viele fremde Krieger waren vor ihnen auf dem Hof zu sehen! Auch Dancwart, der Marschall, war mit den burgundischen Knechten herbeigekommen. Die Pferde waren gesattelt, und als die Burgunden aufsaßen, schlug Volkêr vor, sie sollten doch nach ihrer Sitte Kampfspiele reiten. Das war ihnen sehr recht. Ein großes Turnier begann, und der Lärm erhob sich mächtig. Der weitläufige Hof füllte sich mit Männern. Etzel und Kriemhilt sahen zu.
Sechshundert Krieger Dietrîchs kamen den Burgundenentgegengeritten. Sie hätten gerne mit den Gästen turniert, aber Dietrîch verbot es. Er fürchtete mit Recht für seine Männer.
Als die von Bern sich entfernt hatten, kamen fünfhundert Männer von Pöchlarn mit ihren Schilden vor den Saal geritten; Rüedegêr wünschte, sie hätten es unterlassen. Er ritt besonnen zu ihnen durch die Scharen und sagte ihnen, sie könnten doch
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