Das Nilpferd
Piano sanfte Schumannsonaten intoniert. Liebend gerne spielt man den Zivilisierten, aber man braucht reiche Freunde, um die steigenden Kosten solcher Exerzitien abzudecken. Zivilisiertheit ist schließlich weniger eine Geisteshaltung als eine Reichtumsentfaltung. Abendessen in Swafford sind meiner Meinung nach schon fast so schön wie Frühstücke.
Das Mittagessen liegt im Zeremoniell wie in der Chronologie zwischen den beiden. Die Bibliothek dient als Appellplatz und vorzüglich bestücktes präproviantales Schlürfloch; von dort wird man per Gong fürs Festere ins Eßzimmer gerufen. Podmore bringt die Schüsseln herein und überläßt sie Anne zur weiteren Verteilung der Almosen. Es ist die kürzeste Mahlzeit, Pudding geht oft unberührt zurück, das Trinken von Stärkerem als Eiswasser ist verpönt, und die Konversation neigt zur Gestelztheit. Den Briten sind häusliche Werktagsessen unangenehm; die Arbeitsethik ist so tief in uns verwurzelt, daß selbst die müßigen Klassen am liebsten so tun, als wäre mittägliches Essen eine lästige Einmischung in ein Leben der Plackerei und ehrlichen Emsigkeit.
Als wir uns an diesem Tage ins Eßzimmer begaben und mir angesichts von Olivers taktloser Darbietung seiner Gesundheit und Annes entgeistertem Auftreten der Appetit bereits vergangen war, knisterte die Atmosphäre im Haus von derselben Spannung, die draußen vorherrschte. Mir ist schon oft aufgefallen, daß es ein Merkmal von Gottes billigem Sinn für literarische Klischees ist, wenn er so oft eben die Wetterbedingungen bereithält, die unsere Stimmung am besten widerspiegeln. Der Tag beispielsweise, an dem Jane getauft wurde, den ich immer den Tag nenne, an dem Rebeccas Fluch über mich kam, war ein Tag, an dem es in Strömen goß, was das dumme Geheule, dasmit ihm einherging, ausgezeichnet widerspiegelte. Das Wetter, das Helens Scheiden aus meinem Haus und Leben mit einem kreischenden Roman und einer kalt schniefenden Leonora begleitete, war so kalt, daß es einem bis ins Mark ging, und tat eine eisige Betäubung kund, die meine Laune bestens wiedergab. Und der Tag, der, wenn wir unseren Geist über all diese Seiten zurückschweifen lassen, meinen Rausschmiß beim »Sunday Shite« sah, war klar und warm und wolkenlos und sonnig. Die knisternde Gewitterdrohung von heute konnte, obwohl übertrieben wie alle Effekte des Herrgotts, durchaus nicht als unpassend bezeichnet werden.
Michael schwieg, Anne war von spröder Geschwätzigkeit. Ich beobachtete Clara, die ihrerseits schnelle, verstohlene Blicke in Richtung des errötenden und erwartungsvollen David warf. Simon war, bei ihm eine Seltenheit, launisch und abwesend. Max gab sich mit unverbindlichen Reaktionen auf Annes Geschnatter zufrieden. Patricia, Rebecca und Oliver tauschten Bonmots über Londoner Interna aus. Die Zwillinge, die der Tafel vielleicht etwas Würze verliehen hätten, aßen im Kinderflügel. Mary Clifford sagte nichts, bis sie gegen Ende der Mahlzeit der widerstrebenden Clara Treacle Pie aufzudrängen versuchte.
»Du solltest ihn wirklich probieren, Liebes.«
»Ich habe keinen Hunger, Mummy.«
»Gut, aber ich glaube, ein Stück Treacle Pie wäre eine gute Idee. Findest du nicht auch, Davey?«
Ob dieser megalithisch dämlichen Bemerkung biß Max sich auf die Unterlippe, Oliver zog eine Augenbraue hoch. Davey wollte gerade antworten, als Simon herausplatzte:
»Es ist wirklich ein leckerer Pudding, Clara. Wenn du ihn nicht schaffst, esse ich ihn auf, kein Problem.«
»Simon gehört zu den Menschen, die reinhauen könnenwie ein Schwein und trotzdem kein Gramm Fett ansetzen«, sagte Anne und schnitt Clara ein Stück ab. »Er hat schon drei Stücke gehabt.«
»Erst zwei, Mum«, sagte Simon und hielt seinen Teller hinüber, um ein drittes zu bekommen. »Brauche all meine Kräfte, wir wollen heute nachmittag die Schweine zur Nachlese auf die Felder treiben. Möchtest du mitkommen, Clara?«
Clara schaute Simon hilflos an, ihre Augen waren hinter den dicken Gläsern groß und wäßrig.
»Clara und ich wollten etwas spazierengehen, Simon«, sagte Max. »Wenn du ›Nachlese‹ sagst«, fuhr er mühelos fort, »meinst du dann, daß sie wirklich selber nach Futter wühlen, oder gebt ihr ihnen das? Das hat mich schon immer interessiert.«
Während Simon erklärte, sah ich zu, wie Clara sich mit gesenktem Kopf wieder ihrem Teller zuwendete und trübsinnig in ihrem Pudding herumstocherte. Ich fand, abgesehen von diesem trostlosen Augenblick, sah sie
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