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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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beide. Wir sind stolz darauf, euch unseren Sohn und unsere Tochter nennen zu dürfen.«
    Trotzdem hatte Michael Jobs gefunden. Jeden Tag seiner Schulferien wurde Geld verdient. Erst arbeitete er für eine Bäckerei in Huntingdon als Auslieferer, und dann, nachdem sein Stipendium ihn auf die Public School gebracht hatte, rief er die Familie zusammen und machte ihnen einen Vorschlag.
    »Mrs. Anderson wird langsam zu alt«, sagte er. »Sie will ihren Laden verkaufen. Warum kaufen wir ihn nicht?«
    »Wie könnten wir uns das leisten?«
    »Wir können dieses Haus verkaufen und über dem Laden wohnen. Ich habe mich erkundigt. Da ist genug Platz für uns alle. Wir müssen eng zusammenrücken – Rebecca, Ruth, Dita und Miriam werden sich ein Zimmer teilenmüssen, Danny und ich schlafen hinter der Theke – aber wir können es schaffen.«
    In der Familie wurde Logan’s Sweets and Smokes nur Michael’s Shop genannt. Michael führte die Bücher, da er das größte Rechentalent der Familie war. Er verstand Lebensmittelkarten und das System der Rationierung, er kannte sich beim Tauschhandel aus, und er wußte, wie man Kunden bei der Stange hielt.
    Eines Abends klopfte Tante Rose an seine Schlafzimmertür.
    »Michael, im Radio kommt
Happidrome
. Was machst du da? Komm doch runter.«
    Sie öffnete die Tür und sah Michael mit einem großen Buch.
    »Das ist mein Kundenbuch«, erklärte er. »Jedesmal, wenn ein Kunde den Laden betritt, unterhalte ich mich mit ihm und finde heraus, was er so mag. Ich schreibe seinen Lieblingstabak auf, oder Zigaretten, oder Süßigkeitenmarke, und jeden Abend lerne ich das auswendig. Hier, nimm das Buch. Frag mich was.«
    Eine verwirrte Rose hatte das Buch ergriffen, irgendwo aufgeschlagen und den Namen »Mr. G. Blake« ausprobiert.
    »Godfrey Blake«, sagte Michael, »wohnt in der Godmanchester Road und raucht pro Tag vierzig Player’s Weights. Einmal die Woche kauft er eine Schachtel Craven A für seine Frau, die nur am Wochenende raucht. Er hat einen Sohn bei der Armee in Nordafrika und eine Tochter beim WAAF. Er ist stellvertretender Luftschutzwart, wurde bei Passchendaele an der Hüfte verletzt und ist heimlich in Janet Gaynor verliebt. Er hat eine Schwäche für Pfefferminzbonbons, und ich geb ihm immer ein oder zwei, wenn ihm die Bezugsscheine ausgegangen sind. Ergibt mir eine halbe Crown dafür, daß ich samstags seinen Wagen wasche.«
    »Puuh!« sagte Tante Rose. »Mr. Tony Adams?«
    »
Oberstleutnant
Anthony Adams«, sagte Michael, »fliegt einen Schreibtisch bei der RAF in Wyton. Er hat eine Liebschaft namens Wendy, eine Armeehelferin, die in der Nähe von Wisbech arbeitet, und zweimal die Woche fährt er mit seinem Motorrad hin und besucht sie. Er raucht Parsows Pleasures vorgezupft, der im Offizierskasino nicht verkauft wird, er kauft Anislinsen für sich und
Frys Five Boys
-Schokolade für Wendy.«
    »Michael. Warum hast du das alles gelernt?«
    »Weil diese Leute rauchen und Süßigkeiten essen. Als Mr. Blake das erste Mal in den Laden kam, kam er zufällig vorbei. Jetzt macht er zweimal pro Woche fast einen Kilometer Umweg, um zu uns zu kommen. Wenn das Geschäft nach dem Krieg größer wird, werden solche Leute wichtig sein.«
    »Wenn das Geschäft …? Nun hör sich einer das an. Michael, das ist bloß ein Laden.«
    »Es ist ein Samenkorn, Tante Rose. Also, ich muß nächste Woche wieder in die Schule. Du und Tante Hannah, ihr müßt euch in der Woche um alles kümmern. Ich lasse euch das Buch da. Versucht auch, alles zu lernen, was da drinsteht. Alle sollten es im Schlaf aufsagen können – Danny, Dita, Miriam, alle –, damit sie, wenn sie am Wochenende oder nach der Schule aushelfen, den Kunden das Gefühl geben können, daß sie wichtig sind.«
    In den Augen der Familie war Michaels Schicksal so unausweichlich, als wäre er als Prince of Wales geboren worden. Er war eine Kraft, und damit hatte es sich.
    In den nachfolgenden Schulferien, als der Krieg sich seinem Ende näherte, begann die eigentliche Expansion desGeschäfts, das volle Sprießen und Wachsen des Samenkorns. Zeitungsaustragen kam hinzu, frühmorgendliche Arbeit für Danny, seine Schwester und seine Cousinen; Brot, Kartoffeln, Blumen und eine immer größere Vielfalt an Konserven füllten die Regale des kleinen Einzelhandelsladens bald bis zum Überlaufen, bis Michael und Richard beschlossen, daß es sich lohnen würde, das Nachbarhaus zu kaufen, die Trennwand zu durchstoßen und die Kleinausgabe eines

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