Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
vom Himmel auf die Erde. Und hinter dem lodernden Inferno sah er einen mächtigen Engel auf die Erde hinabsteigen, gehüllt in eine Wolke und mit einem Regenbogen um den Kopf. Sein Gesicht war wie die Sonne und seine Füße wie zwei Säulen aus Feuer. In der Hand hielt er ein aufgeschlagenes Buch und rief: Siehe das Wort in seiner Ewigkeit!
*
Siehe das Wort in seiner Ewigkeit!
Langsam kam Nostradamus wieder zu sich. Wo war er? Seine Knie zitterten, und er sackte in sich zusammen. Mit einer Hand stützte er sich auf die geöffnete Truhe.
Wo?
Im Keller.
Natürlich.
Im Kellergewölbe des Medicipalastes. Sein Körper bebte und zitterte, er schwitzte und bekam kaum Luft. Was war passiert? Wie lange war er schon hier? Minuten? Stunden? Tage? Die Zeit ließ sich nicht messen. Er öffnete die Faust und sah auf das blass schimmernde Amulett. Cosimo hatte es als »Pythias Heiligtum« bezeichnet. Er stöhnte, war er krank? Wenn es nur nicht die Pest war! Diese Seuche kannte er zu gut! Vorsichtig legte er das Amulett zurück in die schwere Eisenschatulle und klappte sie zu. War er auf der anstrengenden Reise von Salon hierher nach Florenz verrückt geworden? In seinem Inneren hörte er den Widerhall der Worte so klar und deutlich, dass er sich auch noch Tage später, als er wieder in seiner Studierkammer in Salon war, an jede Silbe erinnerte. Das Wort in seiner Ewigkeit … Was bedeutete das?
Das Wort in seiner Ewigkeit.
Die alten Truhen, vierundzwanzig an der Zahl, standen in Reih und Glied in dem verschlossenen Kellergewölbe. Seit siebzig Jahren, hatte Großherzog Cosimo gesagt. Nur zwei von ihnen waren geöffnet worden. Die Schmiede des Fürsten hatten dafür Tage gebraucht – und all ihr Fachwissen. Jede dieser Truhen hatte einen unschätzbaren Wert. In ihnen war all das Wissen der Vergangenheit bewahrt, alles, was je gelehrt worden war, was die Götter gesagt hatten. So viele Antworten auf die Rätsel des Lebens und des Todes. Wissenschaft und Astronomie, okkulte Riten und mathematische Berechnungen, alte Epen und Dramen, berühmte Reden, philosophische Gedanken, politische Rhetorik, Gedichte und Lieder, Zauberformeln und göttliche Riten. Alles verstaut in vierundzwanzig Truhen.
Das Wort in seiner Ewigkeit.
Warum ich?, dachte er. Warum hatte Cosimo ausgerechnet ihn gebeten, über diesen mächtigen Schatz zu wachen? Wie konnten sie ihm ein solches Vertrauen entgegenbringen? Nostradamus ließ seinen Blick über die Truhen schweifen. Cosimo hatte ihn den »Schatz der Johanniter« genannt. Die Kirche sprach von der Bibliotheca Diaboli .
Der Bibliothek des Teufels.
*
»Nostradamus! Mein Freund! Ihr seht blass aus.«
Nostradamus war die zahlreichen Steintreppen nach oben bis in Cosimos Audienzhalle getaumelt, in der der Herzog mit zwei Beratern zusammensaß.
Inmitten des großen Raumes blieb Nostradamus stehen. Das Licht der Sonne fiel durch das farbige Glas in einem der Fenster und wurde zu regenbogenfarbenen Strahlen aufgespalten.
»Mein Herr«, murmelte er erst auf Französisch, weil er wieder vergessen hatte, wo er war, und dann auf Italienisch.
»Ja?«, sagte Cosimo und stand von seinem Stuhl auf.
»Im Kellergewölbe, zwischen den Truhen … Ich hatte da ganz plötzlich …« Er zögerte, bevor er das Wort aussprach: »Eine Vision!«
Die Berater sahen sich beunruhigt an. Der Herzog signalisierte einem Diener, dass er dem Franzosen etwas zu trinken bringen sollte.
»Was für eine Vision?«, fragte der Herzog.
»Ich weiß nicht, ich habe Engel gesehen, Engel im Himmel. Und ich habe … in die Zukunft geblickt.«
»In die Zukunft? Monsieur Nostradamus?«
»Ja, in die Zukunft.«
»Und was habt Ihr gesehen?«
»Kriege, Brände, Katastrophen.«
Cosimo sah ihn lange an. Auf seiner Stirn hatte sich eine tiefe Falte gebildet.
»Aber seid nicht beunruhigt, mein Herr, ich habe auch Euch gesehen und dass Ihr noch ein langes Leben vor Euch habt«, sagte Nostradamus. Er hatte nichts in dieser Richtung gesehen, wollte seinen Auftraggeber aber nicht erzürnen.
»Das freut mich zu hören«, sagte Cosimo in einem schwer zu deutenden Tonfall.
Die Berater murmelten leise, offensichtlich verunsichert über die Laune des Herzogs.
»Sagt mir, guter Nostradamus, habt Ihr einen ebenso guten Einblick in die Vergangenheit?«
»Ich …?«
»Es heißt, ich stünde hinter dem Mord an Lorenzino vor dem Campo San Polo in Venedig im letzten Jahr.«
»Wirklich?«
»Was seht Ihr?«
»Ich …«
Cosimo platzte vor Lachen.
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