Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
lag.
Salon-de-Provence
1555
Erst fünf Jahre später wagte Nostradamus es, die Worte aus seiner Vision zu veröffentlichen. Er hatte bereits eine Reihe von Almanachen herausgegeben. 1555 erschien seine erste Ausgabe von Les Prophéties , eine Sammlung vierzeiliger Strophen, sogenannter Quatrains . In den Prophezeiungen erhielten die Worte folgende Form:
Der Körper ohne Seele wird nicht mehr länger geopfert,
der Tag des Todes wird zum Tag der Geburt.
Göttlicher Geist beglückt die Seele,
siehe das Wort in seiner Ewigkeit. 30
Das Amulett von Delphi hatte er im Jahr zuvor wieder zurückgegeben. Das Versteck war perfekt.
In den Jahren, nachdem er den Auftrag erhalten hatte, den Johanniterschatz zu verstecken, arbeitete Nostradamus nicht nur unermüdlich an seinen eigenen Prophezeiungen und Almanachen, sondern auch an einer großartigen Deckoperation, um seinen Auftrag erfolgreich durchführen zu können. Schon früh erkannte er, dass der Postweg zwischen Salon und Florenz so unsicher war, dass er mit Cosimo und den anderen nur codiert kommunizieren durfte. In seinen Prophezeiungen teilt er seine Furcht mit den Lesern:
Die Briefe vom großen Propheten werden gefangen,
in die Hände des Tyrannen werden sie geraten. 31
Sollte ein Brief in die falschen Hände geraten, könnte die gesamte Operation enttarnt werden. Nostradamus und Großherzog Cosimo haben die paranoide Furcht, dass Unbefugte ihr Geheimnis erfahren könnten: Vicarius Filii Dei, Könige, Herzöge und Fürsten, der Papst oder sonst jemand in der katholischen Kirche, Mitglieder des französischen Hofes von Königin Katharina, Florentiner, Berater und Diener, ja sogar Mitglieder der Medici-Familie, denen Cosimo nicht traut. Die Liste der möglichen Personen ist beinahe endlos.
Anfang März 1555 erhält Nostradamus eine Nachricht von Cosimo. Der Herzog hat einen weiteren Wächter verpflichtet. Er möchte, dass Nostradamus ihn trifft. Der neue Mann heißt Marcello Cervini degli Spannochi.
Marcello Cervini habe ein nahes und gutes Verhältnis zu den Medici, berichtet Cosimo. Er sei in Florenz ausgebildet worden, und sein Vater sei ein persönlicher Freund des Medici-Papstes Clemens VII . gewesen. Marcello Cervini selbst sei Sekretär von Papst Paul III . gewesen, der seine Ausbildung am Hof der Medici in Florenz genossen habe. Ein paar Jahre zuvor habe Marcello Cervini den Auftrag bekommen, die Bibliothek des Vatikans durchzuarbeiten. Er trüge deshalb den Titel Bibliothecarius Sanctae Romanae Ecclesiae (Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche). Im Moment versähe er in Rom das Amt des Kardinalpriesters der Kirche Santa Croce in Gerusalemme .
Nostradamus fühlte keine Erleichterung darüber, einen weiteren Vertrauten an die Seite gestellt zu bekommen, um sich die Verantwortung zu teilen. Im Gegenteil. Die Nachricht erschütterte ihn. Auf der Stelle reiste er nach Florenz, um den Herzog zu warnen. In seinem Gepäck hatte er einen Brief, der eine enge Verbindung von Marcello Cervini degli Spannochi und dem Rector der Vicarius Filii Dei, Francesco Franciotto, belegte. Großherzog Cosimo war im Begriff, einen gefährlichen Mann in seine Dienste zu nehmen.
Santa Croce in Gerusalemme war die geheime Basis von Vicarius Filii Dei in Rom.
30 Le corps sans ame plus n’estre en sacrifice:
Iour de la mort mis en natiuité:
L’esprit diuin fera l’ame felice
Voiant le verbe en son eternité.
Les Prophéties (1555, 2. Aufl.), Centurie 2, Strophe 13.
31 Du grand Prophete les letres seront prinses
Entre les mains du tyrant deviendront.
Les Prophéties (1555, 2. Aufl.), Centurie 2, Strophe 36.
Vatikanpalast
1555
»Eure Heiligkeit!«
Francesco Franciotto, Kardinal in pectore und Rector des Ordens Vicarius Filii Dei, kniete vor dem neu gewählten Oberhaupt der katholischen Kirche nieder. Gestern noch war Marcello Cervini degli Spannochi ein ganz gewöhnlicher Kardinal gewesen. Heute war er Papst. Voller Ehrerbietung küsste Franciotto seinen Ring. Als Kardinal von Santa Croce in Gerusalemme in Rom war Marcello Cervini ein loyaler Unterstützer von Franciottos Orden von Kriegermönchen. Tags zuvor, am 9. April, dem vierten Tag der Papstwahl, hatte sich das Kardinalskollegium endlich auf Marcello Cervini geeinigt. Die Wahl war am Morgen des nächsten Tages durch eine Abstimmung in der Cappella Paolina bestätigt worden, bei der er alle Stimmen außer seiner eigenen erhalten hatte. Danach war er zum Bischof geweiht und zum Papst gekrönt worden.
»Lieber
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