Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
»Nun, Ihr habt recht. Dieser Emporkömmling!«
Der Herzog ging zu Nostradamus und geleitete ihn zu einem Stuhl neben seinen Beratern. »Setzt Euch, guter Mann, Ihr seht wirklich nicht ganz gesund aus.«
»Ich …«
»Aber es gibt nichts, was eine Nacht voll geruhsamen Schlafes nicht kurieren könnte.«
Eine Taube flog draußen vom Fenstersims auf. Das Flattern jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Der Diener kam mit einem silbernen Tablett, auf dem ein großes Glas Wasser stand. Nostradamus trank begierig.
»Die Königin hält große Stücke auf Euch, aber das wisst Ihr ja.«
Einen Augenblick lang wurde er unsicher. Wieder setzte er das Glas an die Lippen, dieses Mal aber, um seine Verwirrung zu verbergen. Spielte Cosimo auf seine Ehefrau an, Elenora von Toledo, die Duchessa di Firenze ? Aber sie war keine Königin. Er musste Katharina de’ Medici meinen.
»Eine höchst liebenswerte Frau«, sagte Nostradamus.
Cosimo blinzelte ihm zu. »Oh, spart Euch Eure Schmeicheleien. Ich weiß sehr gut, was für ein Drachen Katharina sein kann. Aber sie achtet Euch sehr.«
»Danke, mein Herzog.«
»Ohne ihre Empfehlung hätte ich mich nicht außerhalb von Florenz nach jemandem umgeschaut, der sich um den Johanniterschatz kümmert. Aber hier in dieser Stadt kann man zurzeit wirklich nicht wissen, wem man trauen kann und wem nicht.«
Er sah zu seinen Beratern, die betreten mit den Füßen scharrten.
»Ich habe eine Frage«, sagte Nostradamus.
»Dann fragt!«
»Der allergrößte Schatz …«
»Der in Ägypten?«
»Was sollen wir damit tun?«
Cosimo breitete die Arme aus. »Wir können kaum in Ägypten einmarschieren, um ihn zu holen, oder?«
»Das verstehe ich.«
»Solange nur wir wissen, dass es ihn gibt. Und wo er ist …«
»Ich …«
»Ihr müsst etwas erfinden. Ein Rätsel, einen Code, etwas, das nur wir verstehen.«
»Gut, mein Herzog. Ich habe mir auch schon Gedanken gemacht. Im Kloster Abbadia San Salvatore habe ich eine fantastische Bibel gesehen, eine Version der Vulgata des heiligen Hieronymus, die …«
»Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet!«, unterbrach Cosimo ihn und gab dem Diener an der Tür ein Zeichen, dass er mehr Wein wollte.
Nostradamus räusperte sich nervös. »Wenn der Herzog einverstanden ist, würde ich gerne zurück nach Salon fahren, um weiter an einem guten Versteck für den Schatz zu arbeiten.«
»Vernünftig, mein Herr, vernünftig! In Florenz weiß man nie, wer einem über die Schulter schaut oder einen Dolch im Ärmel versteckt. Ich vermute, dass Salon ein friedlicher Ort ist?«
»Oh ja, sehr friedlich, mein Herzog, sehr friedlich.«
»So sei es denn!«
»Darf ich noch so freimütig sein, eine Bitte vorzubringen?«
»Ja?«
»Das Amulett …«
»Ja?«
»Die Truhen müssen natürlich hier im Keller des Palasts bleiben, bis wir ein dauerhaftes Versteck gefunden haben.«
»Natürlich.«
»Aber das Amulett … Ich weiß nicht, es inspiriert mich …«
»Das Amulett, das man als ›Pythias Heiligtum‹ bezeichnet?«
»Genau, es …«
»So nehmt es mit! Wenn es Euch inspiriert, nehmt es mit.«
Salon-de-Provence
1550
In der Stille seiner Studierkammer öffnete er jede Nacht die Eisenschatulle, in der das Amulett sich befand. Es strahlte eine beruhigende Energie aus, versetzte ihn an einigen Abenden aber richtiggehend in Trance. Voller Eifer hatte er eine Reihe von Strophen zu Papier gebracht und veröffentlicht. Er nannte sie Almanach für das Jahr 1550 . Das Buch war verblüffend gut aufgenommen worden. Jetzt plante er die Herausgabe eines weiteren, ja vielleicht mehrerer, eines für das jeweils kommende Jahr. Mit etwas Glück brachten ihm seine Prophezeiungen ebenso viel ein wie die Medizin.
Die Worte des mächtigen Engels und der glänzenden Gestalt auf dem Thron dröhnten noch immer in seinen Ohren. Er hatte sie aufgeschrieben, aber was bedeuteten sie? Welchen versteckten Sinn enthielten sie? Er verstand sie nicht, spürte aber, dass hinter den Worten ein tieferer Sinn lag, wie man manchmal bei bestimmten Texten wusste, dass zwischen den Zeilen etwas ganz anderes stand. Er hatte die göttlichen Worte auf dem feinsten Papier und mit frisch gespitzter Feder notiert, aber niemals veröffentlicht. Er hatte das Gefühl, dass es falsch wäre. Er wusste nicht recht, was er damit machen sollte. Siehe das Wort in seiner Ewigkeit! Wie sollte er das verstehen? Die Ungewissheit quälte ihn. Wie wenn einem ein vergessenes Wort auf der Zunge
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