Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
Zügen wahr. Sein Gesicht wirkte wie aus altem Elfenbein geschnitzt, seine Augen, die einen Moment auf Vater und Kind verweilt hatten, waren mit wacher Neugier auf etwas am Ende des Raums gerichtet. Ich folgte seinem Blick und glaubte, er sähe durch das Fenster in den melancholischen, triefenden Garten. Allerdings war einer der draußen angebrachten Läden halb geschlossen und behinderte den Blick, dennoch mußte es das Fenster sein, dem Holmes sei ne konzentrierte Aufmerksamkeit widmete. Dann lächelte er, und seine Augen wandten sich wieder dem Baby zu. Holmes untersuchte sorgfältig das kleine Mal am Hals des Kindes, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich schüttelte er eines der pummeligen Fäustchen, die sich vor ihm hin und her bewegten.
      »Auf Wiedersehen, kleiner Mann. Du hast einen seltsamen Start ins Leben gemacht. Mrs. Mason, ich möchte mit Ihnen ein Wort im Vertrauen sprechen.«
      Er nahm sie beiseite und redete ernst einige Minuten mit ihr. Ich hörte seine letzten Worte: »Ihre Angst wird hoffentlich bald vorbei sein.« Die Frau, die ein säuerliches, schweigsames Geschöpf zu sein schien, zog sich mit dem Kind zurück.
      »Was ist Mrs. Mason für ein Mensch?« fragte Holmes.
      »Äußerlich nicht sehr einnehmend, wie Sie sehen konnten, aber sie hat ein Herz von Gold, und dem Kind ist sie sehr zugetan.«
      »Magst du sie, Jack?« Holmes hatte sich plötzlich nach dem Jungen umgedreht. Dessen ausdrucksvolles bewegliches Gesicht überzog ein Schatten; der Knabe schüttelte den Kopf.
      »Jacky hat sehr starke Zuneigungen und Abneigungen«, sagte Ferguson und nahm ihn in den Arm. »Glücklicherweise zähle ich zu seinen Zuneigungen.«
      Der Junge gurrte und wuschelte den Kopf an der Brust seines Vaters. Ferguson machte sich sanft von ihm los.
      »Lauf, kleiner Jacky«, sagte er, und er sah seinem Sohn liebevoll nach, bis er verschwunden war. »Mr. Holmes«, fuhr er fort, als der Junge uns verlassen hatte, »ich komme mir wirklich vor, als hätte ich Sie auf einen Holzweg geführt; denn was können Sie schon für mich tun, außer daß Sie mir Ihre Sympathie schenken? Die Angelegenheit muß Ihnen ausnehmend heikel und verwickelt erscheinen.«
      »Sie ist sicherlich heikel«, sagte mein Freund mit amüsiertem Lächeln, »aber auf Verwicklung bin ich noch nicht gestoßen. Das ist ein Fall für Schlußfolgerung, und wenn dann die ursprüngliche, unabhängig von den Geschehnissen erlangte intellektuelle Deduktion sich Punkt für Punkt festigt, wird das Subjektive objektiv, und wir können voll Vertrauen sagen, daß wir unser Ziel erreicht haben. Ich war tatsächlich bereits am Ziel, ehe wir die Baker Street verließen, der Rest war nur noch Beobachtung und Bestätigung.«
      Ferguson griff sich mit seiner großen Hand an die Stirn.
      »Um Himmels willen, Holmes«, sagte er heiser. »Wenn Sie die Wahrheit sehen, lassen Sie mich nicht im Ungewissen. Wie stehe ich da? Was soll ich tun? Mich schert nicht, wie Sie hinter die Tatsachen gekommen sind, wenn es sich nur wirklich um die Tatsachen handelt.«
      »Ich schulde Ihnen ganz gewiß die Erklärung, und Sie sollen sie auch haben. Aber Sie erlauben mir, die Sache auf meine Weise anzugehen. Ist die Dame in der Verfassung, uns zu empfangen, Watson?«
      »Sie ist krank, aber sehr wohl bei Sinnen.«
      »Gut. Wir können den Fall nur in ihrer Gegenwart aufklären. Lassen Sie uns zu ihr gehen.«
      »Sie will mich nicht sehen«, rief Ferguson.
      »O doch, sie will«, sagte Holmes. Er kritzelte einige Zeilen auf ein Stück Papier. »Sie zumindest haben Zutritt, Watson. Hätten Sie die Güte, der Dame meine Notiz zu geben?«
      Ich stieg die Treppe wieder hinauf und händigte Dolores, die vorsichtig die Tür öffnete, die Mitteilung aus. Eine Minute später hörte ich von drinnen einen Schrei, in dem Freude und Überraschung gemischt schienen.
      Dolores schaute heraus.
      »Sie will Sie sehen. Sie will zuhören«, sagte sie.
      Ich gab die Einwilligung weiter, und Holmes und Ferguson kamen. Als wir im Zimmer waren, machte Ferguson ein oder zwei Schritte zu seiner Frau hin, die sich im Bett aufgesetzt hatte, aber sie streckte die Arme von sich und wies ihn zurück. Er ließ sich in einen Sessel fallen, und Holmes, nachdem er sich vor der Dame, die ihn mit großäugigem Staunen anblickte, verbeugt hatte, setzte sich neben ihn.
      »Ich glaube, wir können Dolores entlassen«, sagte Holmes. »Aber natürlich, Madame,

Weitere Kostenlose Bücher