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Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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sah sie, daß ich ein Fremder war, und sie schien erleichtert und ließ sich seufzend in die Kissen fallen. Ich ging mit beruhigenden Worten auf sie zu, und sie lag still, während ich ihren Puls und ihre Temperatur maß. Beide Werte waren hoch, und doch hatte ich den Eindruck, daß ihr schlechtes Befinden eher geistiger und nervöser Aufregung entsprang als wirklicher Krankheit.
      »Sie liegt so ein Tag, zwei Tag. Ich Angst, sie stirbt«, sagte das Mädchen.
      Die Frau wandte mir ihr gerötetes, schönes Gesicht zu.
      »Wo ist mein Mann?«
      »Er ist unten und würde Sie gerne sehen.«
      »Ich will ihn nicht sehen. Ich will ihn nicht sehen.« Dann schien sie ins Delirium abzudriften. »Der Böse, der Böse! Ach, was soll ich mit diesem Teufel anfangen?«
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
      »Nein. Keiner kann mir helfen. Es ist aus. Alles ist zerstört. Ich kann tun, was ich will, alles ist zerstört.«
      Die Frau mußte sich in einem seltsamen Wahn befinden. Ich konnte mir Bob Ferguson, die ehrliche Haut, in der Rolle des Bösen oder Teufels nicht vorstellen.
      »Madame«, sagte ich, »Ihr Mann liebt Sie sehr. Es schmerzt ihn tief, was geschehen ist.«
      Wieder richtete sie ihre glänzenden Augen auf mich.
      »Er liebt mich. Ja. Aber liebe ich ihn nicht? Liebe ich ihn nicht so sehr, daß ich mich eher opfern als sein liebes Herz brechen würde? So sehr liebe ich ihn. Und doch denkt er so von mir – kann er so von mir sprechen…«
      »Er ist bekümmert und kann es nicht verstehen.«
      »Nein, er kann es nicht verstehen. Aber er sollte Vertrauen haben.«
      »Möchten Sie ihn nicht sehen?«
      »Nein, nein. Ich kann die fürchterlichen Worte nicht vergessen und den Ausdruck auf seinem Gesicht. Ich will ihn nicht sehen. Gehen Sie jetzt. Sie können nichts für mich tun. Sagen Sie ihm bloß das eine: Ich will mein Kind. Ich habe ein Recht auf mein Kind. Das ist meine einzige Botschaft für ihn.«
      Sie drehte den Kopf zur Wand und sagte nichts mehr.
      Ich ging nach unten in den großen Raum zurück, wo Ferguson und Holmes noch beim Feuer saßen. Ferguson hörte sich niedergeschlagen meinen Bericht an.
      »Wie kann ich ihr das Kind bringen lassen?« sagte er. »Woher soll ich wissen, welche seltsame Anwandlung ihr kommen mag? Wie kann ich jemals vergessen, wie sie sich aufrichtete, das Blut des Kindes an den Lippen?« Ihn schauderte bei der Erinnerung. »Das Kind ist bei Mrs. Mason sicher, und da muß es bleiben.«
      Ein flottes Dienstmädchen, das einzig Moderne, das wir in diesem Haus zu sehen bekamen, brachte den Tee. Als sie servierte, ging die Tür auf, und ein Knabe betrat den Raum. Es war ein bemerkenswerter Bursche, mit blassem Gesicht, blonden Haaren, erregbaren hellblauen Augen, die in plötzlicher Gefühlsaufwallung und Freude blitzten, als sie sich auf seinen Vater richteten. Er stürzte vor und warf Ferguson die Arme um den Hals mit der Hingebung eines liebenden Mädchens.
      »Oh, Papa«, rief er, »ich wußte nicht, daß du schon wieder da bist. Ich hätte hier sein sollen, um dich zu begrüßen. Ach, ich bin so froh, daß du da bist.«
      Sanft, doch mit einiger Verlegenheit, löste Ferguson sich aus der Umarmung.
      »Na, alter Junge«, sagte er und tätschelte den Blondschopf mit sehr zarter Hand. »Ich bin so früh wieder zurück, weil ich meine Freunde überreden konnte, den Abend mit uns zu verbringen.«
      »Ist das Mr. Holmes, der Detektiv?«
      »Ja.« Der Junge sah Holmes durchdringend und, wie mir schien, unfreundlich an.
      »Was ist mit Ihrem anderen Kind, Mr. Ferguson?« sagte Holmes. »Könnten wir die Bekanntschaft des Babys machen?«
      »Richte Mrs. Mason aus, sie soll das Baby herunterbringen«, sagte Ferguson.
      Der Junge lief mit seltsamem, watschelndem Gang, der meinem Chirurgenauge sofort verriet, daß er an einem schwachen Rückgrat litt. Bald kam er wieder zurück, gefolgt von einer großen hageren Frau, die auf dem Arm ein sehr schönes Kind trug, dunkeläugig und goldblond, eine wundervolle Mischung des Angelsächsischen mit dem Lateinischen. Ferguson war ihm offensichtlich sehr zugetan. Er nahm es in die Arme und koste es überaus zärtlich.
      »Stellen Sie sich vor, jemand hat das Herz, ihm weh zu tun«, murmelte er und blickte auf das kleine hochrote Mal an der Kehle seines Engels.
      In diesem Moment sah ich zufällig zu Holmes hinüber, und ich nahm eine höchst ungewöhnliche Spannung in seinen

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