Das Opfer
ihres Gesichts nachzeichnen und wie ein Künstler mit allen Schatten modellieren, besonders das Lächeln, das sie ihm schenkte, und die Augen mit diesem einladenden Blick. Seine Gedanken glitten ihren Körper hinab, verweilten an jeder Kurve, der Sinnlichkeit ihrer Brüste, dem sanften Schwung ihrer Hüfte. Er sah im Geist ihre Beine neben sich ausgestreckt, und während er in das schummrige Licht der Bar starrte, merkte er, wie ihn seine Phantasien erregten. Er rutschte auf seinem Barhocker hin und her und dachte daran, was für eine ideale Frau Ashley war – aber andererseits auch wieder nicht, weil sie diesen Schlag ins Gesicht gegen ihn ausgeheckt hatte. Diesen Hieb gegen sein Herz. Während der Alkohol seine Emotionen entfesselte, spürte er, wie die Antwort lauten musste; keine Zärtlichkeiten, kein tastendes Erkunden, dachte er kalt. Tu ihr weh, so wie sie dir weh getan hat. Nur so konnte er ihr ganz und gar begreiflich machen, wie sehr er sie liebte.
Wieder rückte er sich auf seinem Sitz zurecht. Er war jetzt vollends entbrannt.
Einmal hatte er in einem Roman gelesen, dass die Krieger gewisser afrikanischer Stämme sexuell erregt in die Schlacht gezogen waren, um sich – den Schild in der einen Hand, den Speer in der anderen und eine Erektion zwischen den Beinen – auf den Feind zu stürzen.
Das gefiel ihm.
Er gab sich keine Mühe, die Wölbung in seiner Hose zu kaschieren, als er sein leeres Glas wegschob und von seinem Hocker aufstand. Einen Moment lang hoffte er sogar, dass jemand hinstarren und eine Bemerkung fallenlassen würde. Er wünschte sich in dieser Sekunde nichts so sehr wie eine Prügelei.
Doch niemand beachtete ihn. Ein wenig enttäuscht durchquerte er den Raum und trat auf die Straße. Es war Nacht geworden, und eine eisige Kälte schlug ihm ins Gesicht. Das bewirkte allerdings wenig, um seine Phantasie abzukühlen. Er stellte sich vor, wie er sich über Ashley beugte, in sie hineinstieß und jede Höhlung, jede Spalte, jeden Zentimeter ihres Körpers für seine eigene Lust ausschöpfte. Er hörte die Laute, die sie von sich gab, und ihm war es gleich, ob sie dabei vor Begierde stöhnte und schrie oder ob sie vor Schmerz zu schluchzen begann. Liebe und Verletzung, dachte er, eine Zärtlichkeit und eine Ohrfeige waren letztlich dasselbe.
Trotz der Kälte öffnete er die Jacke und knöpfte sich das Hemd auf, um sich die kühle Luft über den Körper streichen zu lassen, während er im Gehen den Kopf zurückwarf und gierig Atem holte. Die Kälte richtete gegen das brennende Verlangen nichts aus. Liebe ist wie eine Krankheit, dachte er. Ashley war wie ein Virus, der sich ungehemmt in seiner Blutbahn ausbreitete. In dieser Sekunde begriff er, dass er nie wieder ohne sie sein würde. Nicht für eine Sekunde seines Lebens. Während er weiterlief, wurde ihm klar, dass er seine Liebe zu Ashley nur unter Kontrolle bringen konnte, indem er Ashley unter seine Kontrolle brachte. Noch nie war ihm etwas so klar gewesen.
Michael O’Connell bog um die Ecke in die Straße ein, in der seine Wohnung lag, während in seinem Kopf die Bilder aus Lust und Gewalt in einer gefährlichen Mischung aus Blut und Begierde brodelten, und so war er nicht so aufmerksam wie sonst, als er hinter sich eine leise Stimme hörte.
»Komm mit, O’Connell, reden wir ein paar Takte.« Er fühlte einen eisernen Griff an seinem Oberarm.
Matthew Murphy hatte O’Connell mühelos erkannt, als er durch den Lichtkegel einer Straßenlaterne lief. Er war aus dem Schatten gehuscht und im nächsten Moment hinter ihm gewesen. Murphy war in diesen Methoden versiert, und sein in fünfundzwanzig Jahren Polizeidienst geschulter Instinkt sagte ihm, dass O’Connell ein Neuling war, wenn es um schwere Delikte ging.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, stammelte O’Connell.
»Ich bin dein beschissenster Alptraum, du Arschloch. Und jetzt mach schon die Tür auf und lass uns hübsch still und leise in deine Bruchbude raufgehen, damit ich dir auf halbwegs manierliche Art stecken kann, was Sache ist und wo’s für dich langgeht, ohne dass ich gleich Hackfleisch oder Schlimmeres aus dir mache. Und das willst du doch nicht, O’Connell, oder? Wie nennen dich deine Freunde? OC? Oder vielleicht einfach nur Mike, hey?«
O’Connell wollte sich aus dem Schraubstock winden, doch das verstärkte nur den Druck, und so gab er auf. Bevor er antworten konnte, ließ Murphy eine zweite Kanonade Fragen los.
»Vielleicht
hat
Michael O’Connell ja keine
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