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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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stattlichen Fichten und der schwarzen Hügelkette in der Ferne vorbeiziehen sah, hörte er den Motor des Porsche röhren. Die Strecke von Scotts zu Catherines Haus, für die man normalerweiserund zwei Stunden brauchte, wollte er in der Hälfte der Zeit schaffen. Er konnte nicht sagen, ob das schnell genug war. Er wusste nicht, was vor sich ging. Er wusste nicht, was O’Connell im Schilde führte und womit in dieser Nacht noch zu rechnen war. Ihm stand nur eine vage, monströse Gefahr unmittelbar vor Augen, und er war entschlossen, sich zwischen die Bedrohung und seine Tochter zu werfen.
    Unterwegs überwältigte ihn eine Flut an Bildern aus ihrer Vergangenheit, während er die Hände um das Lenkrad krallte. Ihn packte ein eisiges, lähmendes Gefühl, und er konnte sich nur schwer gegen den Eindruck wehren, dass er immer noch zu langsam fuhr und Sekunden zu spät kommen würde, um das Unglück zu verhindern. Und so trat er mit dem rechten Fuß aufs Gaspedal, ohne sich um irgendetwas zu scheren außer dem Bedürfnis, so schnell wie möglich voranzukommen.
     
    Catherine legte auf und drehte sich zu Ashley um. Sie sprach leise, doch mit fester Stimme und überaus ruhig. Sie wählte ihre Worte mit Bedacht, so dass sie geradezu altertümlich wirkten. Die Konzentration auf das, was sie sagte, half ihr, die wachsende Panik zu bezwingen. Sie atmete langsam ein und rief sich ins Gedächtnis, dass sie zu einer Generation gehörte, die schon ganz andere Schlachten ausgefochten hatte und mit diesem O’Connell wohl fertig werden sollte. Und so legte sie die Entschlossenheit eines Roosevelt in ihre Worte.
    »Ashley, Schätzchen, es sieht so aus, als ob dieser junge Mann, der sich auf so unbekömmliche Weise zu dir hingezogen fühlt, herausgefunden hat, dass du nicht in Europa bist, sondern hier bei mir.«
    Ashley nickte, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen.
    »Ich denke, es wird das Klügste sein, wenn du nach oben in dein Zimmer gehst und die Tür abschließt. Halte das Telefonbereit. Wie ich von Hope erfahre, ist dein Vater schon hierher unterwegs, und sie hat auch vor, die Sache der hiesigen Polizei zu melden.«
    Ashley machte einen Schritt Richtung Treppe, blieb dann aber stehen.
    »Catherine, was hast du vor? Vielleicht sollten wir schleunigst ins Auto zurück und nichts wie weg von hier.«
    Catherine lächelte. »Also, mir erscheint es nicht sinnvoll, uns diesem Kerl noch einmal auf der Straße auszusetzen. Er hatte es, wie ich vermute, vorhin schon auf uns abgesehen. Nein, das hier ist mein Zuhause. Und
deins
. Falls der Kerl dir Böses will, dann stellen wir uns ihm am besten hier, auf vertrautem Terrain.«
    »In diesem Fall lasse ich dich nicht allein«, erklärte Ashley in einer Anwandlung aufgesetzter Zuversicht. »Dann bleiben wir eben beide hier sitzen und warten zusammen.«
    Catherine schüttelte den Kopf. »Ashley, Schätzchen, es ist wirklich lieb von dir, das anzubieten. Aber ich werde mich wesentlich wohler in meiner Haut fühlen, wenn ich hier warte und weiß, dass du dich oben eingeschlossen hast und außer Reichweite bist. Außerdem müsste die Polizei jeden Moment hier sein, also lass uns umsichtig und vernünftig sein. Vernünftig heißt im Moment, dass du bitte tust, worum ich dich gebeten habe.«
    Ashley wollte protestieren, doch Catherine winkte ab.
    »Ashley, lass mich mein Zuhause bitte so verteidigen, wie ich es für richtig halte.«
    Catherines unzweideutige Sprache verfehlte nicht ihre Wirkung. Ashley nickte. »In Ordnung. Ich warte oben. Aber wenn ich irgendetwas höre, das mir nicht gefällt, bin ich unten.« Sie hatte keine Ahnung, was sie mit
irgendetwas, das mir nicht gefällt
, meinte.
    Catherine sah Ashley die Treppe hinaufhuschen. Sie blieb stehen, bis sie hörte, wie Ashley den altmodischen Schlüssel in ihrer Zimmertür drehte. Dann ging sie zu dem hölzernen Einbauschrank neben dem großen offenen Kamin. Hinter den gestapelten Scheiten klemmte in einem Lederfutteral die Schrotflinte ihres verstorbenen Mannes. Seit Jahren hatte sie sie nicht mehr hervorgeholt und ebenso lange nicht mehr gereinigt; sie war auch keineswegs sicher, dass das halbe Dutzend Patronen, die lose am Boden des Kastens rollten, noch abgefeuert werden konnten. Die Chancen, schätzte Catherine, standen eins zu eins, dass die Waffe, wenn sie einen Schuss abgab, in ihren Händen explodierte. Trotzdem war es eine große, einschüchternde Flinte mit einem gähnenden Loch am Ende des Laufs, und Catherine hoffte, das

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