Das Opfer
betrachtete die Baumreihe an der Grundstücksgrenze und darüber hinaus über das flache Gelände neben ihrem Haus, wo ihr Mann mit einem geliehenen Traktor ein Stück eingeebnet hatte, um darauf Sportrasen einzusäen und zwei Torpfosten zu setzen – alles als Geschenk zu Hopes elftem Geburtstag. Gewöhnlich rief der Anblick des Minispielfelds viele glückliche Erinnerungen wach, die Catherine tröstlich fand. In dieser Nacht jedoch wanderte ihr Blick an den verblichenen weißen Pfosten vorbei. Sie stellte sich vor, dass O’Connell irgendwo dort draußen lauerte und sie aus sicherer Entfernung beobachtete.
Catherine biss die Zähne zusammen und ging wieder ins Haus, nachdem sie an der Tür noch einmal stehengeblieben war und in einer eindeutig obszönen Geste die Hand gehoben hatte. Für alle Fälle, dachte sie. Es war längst nach Mitternacht, doch sie hatten noch eine Menge zu packen. Ihre eigene Tasche war fertig, doch Ashley, die immer noch vollkommen fertig war, brauchte länger.
Scott saß, die alte Schrotflinte neben sich auf dem Tisch, in der Küche und trank schwarzen Kaffee. Er strich mit dem Finger den Lauf entlang und dachte, dass sie weitaus besser dran wären, wenn Catherine einfach abgedrückt hätte. Sie hätten sich für den Rest der Nacht mit der örtlichen Polizei und einem Coroner herumschlagen müssen und Catherine einen Anwalt besorgt, obwohl sie vermutlich nicht einmal festgenommen worden wäre. Wenn sie den Bastard einfach erschossen hätte, als er durch die Tür kam, stellte er sich vor, dann wäre kurz danach er eingetroffen und hätte geholfen, die Dinge in Ordnung zu bringen. Binnen Tagen hätten sie wieder ein normales Leben führen können.
Er hörte, wie Catherine zur Haustür herein und in die Küche kam.
»Ich denke, ich leiste dir Gesellschaft«, erklärte sie und goss sich selbst eine Tasse ein.
»Es wird eine lange Nacht«, sagte Scott.
»Ist es schon.«
»Ist Ashley so weit?«
»Braucht noch eine Minute«, meinte Catherine. »Sie packt nur das Nötigste.«
»Sie ist ganz schön mitgenommen.«
Catherine nickte. »Das kannst du ihr nicht verübeln. Ich bin auch noch ganz schön durcheinander.«
»Du überspielst es besser.«
»Hab mehr Erfahrung.«
»Ich wünschte …«, begann er, brachte den Satz aber nicht zu Ende.
Catherine verzog den Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. »Ich weiß, was du dir wünschst.«
»Ich wünschte, du hättest ihn geradewegs zur Hölle geschickt.«
Sie nickte. »Ich auch. Im Nachhinein.«
Keiner von beiden sprach aus, was sie beide dachten: O’Connell vor der Mündung einer Schusswaffe zu haben war eine Gelegenheit gewesen, wie sie sich wahrscheinlich kein zweites Mal bieten würde. So schnell ihm der Gedanke kam, so schnell verbannte Scott ihn aus seinem Kopf. Der aufgeklärte, rationale Mensch in ihm erklärte entschieden, dass Gewalt nie die Antwort sein konnte. Doch ebenso schnell stellte sich die Gegenfrage ein: Wieso eigentlich nicht?
Ashley kam und blieb im Türrahmen stehen.
»Also«, sagte sie. »Ich bin so weit.«
Sie starrte ihren Vater und Catherine an. »Seid ihr sicher, dass es das Beste ist, wegzufahren?«
»Wir sind hier draußen ziemlich isoliert, Schätzchen«, erwiderteCatherine behutsam. »Und es ist wirklich nicht leicht, vorherzusagen, was Mr. O’Connell als Nächstes tut.«
»Es ist nicht fair«, meinte Ashley. »Catherine und mir gegenüber, und auch allen anderen gegenüber.«
»Ich denke, es geht hier längst nicht mehr um Fairness«, sagte Scott.
»Es geht vor allem um unsere Sicherheit«, warf Catherine in sanftem Ton ein. »Besser übervorsichtig als zu wenig.« Ashley ballte die Fäuste und kämpfte gegen die Tränen an.
»Lasst uns einfach gehen«, schlug Scott vor. »Sieh mal, wenigstens wird sich deine Mutter ganz entschieden besser fühlen, wenn du nach Hause kommst. Hope auch. Und Catherine möchte ganz gewiss nicht allein hier oben bleiben und sich mit dem Scheißkerl rumschlagen, wenn er rausgefunden hat, dass wir dich weggeschafft haben.«
»Auch wenn ich mich das nächste Mal, glaube ich, nicht lange mit Small Talk aufhalten werde«, erklärte Catherine steif. Dabei deutete sie auf die Flinte, so dass Scott und Ashley beide schmunzelten.
»Catherine«, sagte Ashley, während sie sich die Augen wischte, »du würdest einen tollen Profikiller abgeben.«
Catherine lächelte. »Danke, Schätzchen. Das nehme ich als Kompliment.«
Scott stand auf. »Ist jedem klar, wie das heute Nacht
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