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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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alles, was ich Ihnen anbieten kann.«
    Der Mann steckte mit einer übertriebenen Geste den Stift und den Notizblock in die Hemdtasche, machte kehrt und ging zur Tür. Er blieb noch einmal stehen, und Ashley hatte den Eindruck, als wäre er ein wenig verlegen. »Uns sind sozusagen dieHände gebunden«, erklärte er. »Ich werde über diesen Einsatz einen Bericht schreiben, nur für den Fall, dass Sie sich wegen einer Verfügung an einen Richter wenden.«
    Catherine schnaubte nur noch einmal verächtlich. »Na, wenn das nicht beruhigend ist«, sagte sie wütend. »Dann haben wir ja nichts mehr zu fürchten. Das ist genauso, als würden Sie sagen, das ganze Haus müsste erst abgebrannt sein, bevor wir die Feuerwehr rufen dürfen.«
    »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, wirklich, Mrs. Frazier, und ich weiß, dass diese Dinge heikel sind. Aber wie gesagt, rufen Sie uns an, wenn er sich wieder blicken lässt. Wir kommen sofort raus.«
    Plötzlich hob der Polizist den Kopf und horchte.
    »Du liebe Güte«, meinte er. »Da hat’s aber jemand mächtig eilig.«
    Catherine und Ashley neigten sich ein wenig vor und lauschten auf das ferne Geräusch eines aufheulenden Motors. Ashley erkannte es sofort wieder. Während sie dastanden, kam es näher, wurde lauter, und sie alle sahen, wie die Scheinwerfer durch die Baumgruppen unweit des Hauses blitzten.
    »Das ist mein Vater«, sagte Ashley. Sie hätte wenigstens so etwas wie Erleichterung empfinden müssen und ein Gefühl der Sicherheit, da er wissen würde, was sie am besten tun sollten. Doch diese Gefühle stellten sich nicht ein.
     

     
    »Ich widme mich ausgiebig dem Studium der Angst«, erklärte sie. »Die physiologischen Reaktionen. Der psychische Stress. Ich habe psychiatrische Lehrbücher und soziologische Abhandlungen gelesen. Ich lese Bücher darüber, wie Menschen auf die unterschiedlichsten schwierigen Situationen reagieren. Ich mache mir Notizen,gehe zu Vorträgen, was sich gerade bietet, um das Ganze besser zu verstehen.«
    Wieder wandte sie sich ab und starrte aus dem Fenster auf die harmlose Vorstadtumgebung hinter der Scheibe.
    »Das hier hat eigentlich nicht viel von einer Klinik«, sagte ich. »Es wirkt alles so ruhig und friedlich.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Alles Illusion. Die Angst nimmt an verschiedenen Orten unterschiedliche Formen an. Es hängt alles daran, was wir – im Unterschied zu dem, was dann wirklich passiert – für die nächsten Sekunden befürchten.«
    »Und Michael O’Connell?«
    Ein bitteres Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Haben Sie sich schon mal gefragt, wie es kommt, dass manche Menschen einfach instinktiv wissen, wie man Angst und Schrecken verbreitet? Der Auftragskiller. Der sexuelle Psychopath. Der religiöse Fanatiker. Die haben das sozusagen im Blut. Er gehörte zu dieser Kategorie. Es kommt mir so vor, als hingen diese Leute weniger am Leben als zum Beispiel Ashley und ihre Familie. Die normalen emotionalen Bindungen und Hemmungen, die für uns alle selbstverständlich sind, waren bei O’Connell nicht vorhanden. Er hatte sie durch etwas wirklich Irritierendes ersetzt.«
    »Nämlich?«
    »Er liebte das, was er war.«

30
Flucht vor dem Unsichtbaren
     
    Catherine stand draußen und starrte in den sternenübersäten mitternächtlichen Himmel. Es war so kalt, dass sie ihren Atem sehen konnte, doch sie fröstelte weit mehr von dem, was geschehen war. Wenn sie einen Ort auf der Welt für sicher gehalten hatte, dann ihr eigenes Zuhause, auf einem Grund und Boden, den sie seit so vielen Jahren in guten wie in schlechten Zeiten bewohnte und auf dem sie jeden Baum, jeden Strauch kannte und wo tausend Erinnerungen erwachten, wenn die Dachrinnen unter einer Brise schepperten. Hier hatte sie Wurzeln geschlagen. Doch in dieser Nacht war die Sicherheit ihres Hauses in dem Moment untergraben, als sie O’Connell sagen hörte:
Ich komme zurück
.
    Catherine wandte sich zum Haus um. Plötzlich schien es ihr zu kalt, um draußen stehenzubleiben und zu überlegen, was sie machen sollte, was sie ein wenig überraschte. Sie hatte schon oft und zu allen Jahreszeiten so unter dem Himmel von Vermont gestanden und über die unterschiedlichsten Fragen nachgedacht. Doch in dieser Nacht brachte der schwarze Himmel keine Klarheit, sondern nur eisige Kälte, die ihr den Rücken hinunterkroch, so dass sie zitterte. Ihr kam der schreckliche Gedanke, dass Michael O’Connell den Frost gar nicht bemerkte. Seine Obsession hielt ihn warm.
    Sie

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