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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sie sich Sorgen machen. Sollen sie sich schlaflose Nächte bereiten. Lass sie bei jedem Geräusch im Dunkeln zusammenzucken.
    Wenn sie ihm dann vor Anspannung und Erschöpfung und Zweifeln nur noch wenig entgegenzusetzen hatten, dann würde er kommen. Wenn sie am wenigsten damit rechneten.
    O’Connell steppte mit den Füßen auf dem Bürgersteig wie ein Tänzer, der seinen Rhythmus findet.
    Ich bin selbst dann bei ihnen, an ihrer Seite, wenn ich nicht da bin.
    Michael O’Connell kam zu dem Schluss, dass er es an diesem Tag nicht eilig hatte. Die Liebe, die er zu Ashley empfand, konnte mit der größten Geduld einhergehen.
     

     
    Diesmal verabredete sie sich mit mir um Mitternacht vor der Notaufnahme eines Krankenhauses in Springfield. Als ich sie fragte, wieso um Mitternacht, ließ sie mich wissen, dass sie zwei Nächte die Woche ehrenamtlichen Dienst im Krankenhaus leistete und dass sie gewöhnlich ihre Pause in der Geisterstunde einlegte.
    »Was für eine ehrenamtliche Tätigkeit?«, erkundigte ich mich.
    »Beratung. Misshandelte Ehefrauen. Geschlagene Kinder. Vernachlässigte ältere Menschen. Die kommen alle ins Krankenhaus, und jemand muss da sein, um sie an die richtigen staatlichen Stellen weiterzuvermitteln, damit sie Hilfe bekommen.« Trotz der Bilder, die sie heraufbeschwor, wirkte ihr Ton kühl und gefasst. »Meine Aufgabe besteht darin, für die herausgebrochenen Zähne, blauen Augen, Rasiermesserschnittwunden und gebrochenen Rippen den richtigen Papierkram einzuleiten.«
    Sie wartete auf mich, während sie eine Zigarette bis zum Filter herunterrauchte und dabei tief inhalierte. Als ich aus dem Schatten des Parkplatzes auf sie zukam, deutete ich auf die Zigarette.
    »Wusste gar nicht, dass Sie rauchen.«
    »Tu ich auch nicht.« Sie nahm einen weiteren langen Zug. »Nur hier. Zwei Nächte die Woche. Eine Zigarette zur Pause um Mitternacht. Nicht mehr. Wenn ich später heimkomme, werfe ich die restliche Packung weg. Kaufe jede Woche eine neue.«
    Sie lächelte, auch wenn ihr Gesicht teilweise im Schatten lag. »Rauchen ist im Vergleich zu dem, was ich hier zu sehen bekomme, eine lässliche Sünde. Zum Beispiel ein Kind, dem der durchgeknallte Stiefvater systematisch sämtliche Finger gebrochen hat. Oder eine Mutter im achten Monat, die mit einem Metallkleiderbügel geschlagen worden ist. So was in der Art. Ganz alltäglich. Ganz normal. Überaus brutal. Einfach die übliche Gemeinheit, die als Leben durchgeht. Schon bemerkenswert, nicht wahr, wie grausam wir zueinander sein können?«
    »Ja.«
    »Also, was wollen Sie als Nächstes wissen?«, fragte sie.
    »Scott, Sally und Hope waren nicht bereit, sich auf eine ungewisse Lage einzulassen, nicht wahr?«
    Sie schüttelte den Kopf. Eine schrill heulende Krankenwagensirene drang durch die Nacht. Notfälle kündigen sich durch die unterschiedlichsten Geräusche an.

32
Der erste und einzige Plan
     
    Als sie am Abend zusammenkamen, lag Hilflosigkeit in der Luft. Besonders Ashley schien von den Ereignissen wie gelähmt. Sie kauerte mit angewinkelten Beinen in einem Armlehnsessel unter einer Decke und klammerte sich an einen uralten Teddybär, dessen Ohr Nameless einst zerknabbert hatte.
    Ashley sah sich im Zimmer um, und ihr wurde bewusst, dass sie das Desaster angerichtet hatte, in dem sie sich jetzt befand, auch wenn sie nicht recht sah, womit sie das alles verdient hatte. Längst war die einzige, ein wenig angetrunkene Nacht, in der sie mit Michael O’Connell auf ihrem Bett gelandet war, in weite Ferne gerückt, ganz zu schweigen von dem Gespräch, bei dem sie seine Einladung zu diesem einen Date angenommen hatte, weil sie fand, dass O’Connell anders war als all die Jungs, die sie vom College her kannte.
    Jetzt hielt sie sich nur noch für dumm und naiv. Und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie machen sollte. Als sie aufsah und ihr Blick nacheinander auf Catherine und Hope, ihrer Mutter und ihrem Vater ruhte, wurde ihr zugleich bewusst, dass sie auch ihre Familie in Gefahr gebracht hatte; nicht ganz so wie sich selbst, aber trotzdem. Sie wollte sich entschuldigen, und so machte sie einen Anfang.
    »Das ist alles meine Schuld«, erklärte sie.
    Sally reagierte prompt. »Nein, ist es nicht. Und wenn du dich selbst quälst, hilft das keinem von uns.«
    »Na ja, hätte ich nicht …«
    Scott unterbrach sie. »Du hast einen Fehler gemacht. Das hatten wir alles schon; das sollten wir hinter uns lassen. Danach haben wir die Sache nur noch

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