Das Opfer
eine Hand zu heben, ohne die Tüte abzusetzen, und drohte ihm mit dem Zeigefinger.
»Ich kenne Sie!«, sagte sie laut. »Ich weiß, was Sie machen!«
»’n Scheißdreck wissen Sie über mich«, erwiderte O’Connell, seinerseits mit erhobener Stimme.
»Ich weiß, dass Sie was mit meinen Katzen machen. Ich weiß, dass Sie welche stehlen. Oder schlimmer! Sie sind ein übler, bösartiger Mensch, und ich sollte Sie der Polizei melden!«
»Ich hab Ihren verdammten Katzen nichts getan. Vielleicht füttert irgendeine andere verrückte Alte die durch. Vielleicht mögen sie auch nur den Fraß nicht, den Sie ihnen rausstellen. Vielleicht haben sie auch irgendwo eine bessere Bleibe gefunden, alte Schlampe. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe, und seien Sie lieber froh, dass ich Ihnen nicht das Gesundheitsamt auf den Hals schicke, denn die werden mit absoluter Sicherheit all diese räudigen Viecher einsammeln und einschläfern.«
»Sie sind ein grausamer, herzloser Mensch«, versetzte die alte Frau steif.
»Geh’n Sie mir aus dem Weg und scheren Sie sich zum Teufel«, schnauzte O’Connell und drängte sich an der alten Frau vorbei, um weiter die Straße hinunterzuschlendern.
»Ich weiß, was Sie machen!«, brüllte die alte Frau ihm noch einmal hinterher.
O’Connell drehte sich um und erwiderte ihren wütenden Blick. »Wissen Sie was?«, antwortete er kalt. »Also, Sie können von Glück sagen, wenn ich das, was ich angeblich mit Ihren Katzen mache, nicht eines Tages mit Ihnen mache.«
Hope sah, wie die alte Dame nach Luft schnappte und einen Schritt zurücktrat, als hätte sie der Schlag getroffen. O’Connell, offensichtlich mit seiner Antwort zufrieden, machte kehrt und eilte grinsend die Straße entlang.
Hope wusste nicht, wo er hin wollte, doch ihr war klar, dass sie ihm folgen sollte. Als sie sich wieder zu der alten Frau umdrehte, die immer noch wie erstarrt auf dem Bürgersteig stand,kam ihr eine Idee. Kaum war Michael O’Connell am Ende des Häuserblocks um die Ecke verschwunden, stürmte Hope zu der Frau.
Nach einem letzten Blick auf die Straßenecke winkte sie ihr zu. »Entschuldigen Sie, Ma’am«, rief sie so freundlich, wie sie konnte, aber deutlich genug, um die Dame auf sich aufmerksam zu machen, »Entschuldigen Sie …«
Die Frau drehte sich misstrauisch zu ihr um. »Ja?«, fragte sie vorsichtig.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Hope hastig. »Ich war auf der anderen Straßenseite und habe wohl oder übel Ihren Wortwechsel mit dem jungen Mann da mit angehört.«
Die Frau sah Hope weiter vorsichtig an, während Hope behutsam näher trat.
»Er wirkte sehr unhöflich und respektlos.«
Die alte Frau zuckte die Achseln und fragte sich offenbar immer noch, was Hope von ihr wollte.
Hope holte tief Luft und ließ eine Lüge vom Stapel.
»Ich vermisse seit ein paar Tagen meinen Kater, einen richtig süßen Gescheckten, mit weißen Vorderpfoten – deshalb nenne ich ihn Socks. Er kommt nicht mehr nach Hause, und ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Ich werde noch wahnsinnig. Ich wohne nur ein, zwei Straßen weiter.« Hope winkte vage in eine Richtung, die praktisch ganz Boston einschloss. »Vielleicht haben Sie ihn ja gesehen?«
In Wahrheit konnte Hope Katzen nicht besonders leiden. Sie brachten sie zum Niesen, und sie mochte nicht, wie die Tiere sie ansahen.
»Er ist so ein süßer Fratz, ich hab ihn schon seit Jahren, und es passt einfach nicht zu ihm, so lange wegzubleiben.« Die Lügen kamen ihr glatt über die Lippen.
»Ich weiß nicht«, antwortete die alte Frau langsam. »Ich habein paar Gescheckte in meiner Sammlung, aber soviel ich weiß, keine neuen. Andererseits …«
Die Frau wandte den Blick von Hope zu der Stelle, an der Michael O’Connell verschwunden war. Sie fauchte beinahe wie einer ihrer Schützlinge. »Ich kann nicht ausschließen, dass
er
was Böses mit ihnen gemacht hat.«
Hope verzog entsetzt das Gesicht. »Der mag keine Katzen, ja? Was muss man für ein Mensch sein …«
Sie brauchte den Satz nicht zu Ende zu führen. Die alte Frau machte einen Schritt zurück und musterte Hope von oben bis unten. »Vielleicht hätten Sie Lust auf eine Tasse Tee, und ich zeige Ihnen meine Kinderschar?«
Hope nickte und beugte sich herunter, um der Frau die Einkaufstüten abzunehmen. Ich bin drinnen, dachte sie. Es gab ihr das Gefühl, direkt in die Nachbarschaft der Höhle des Löwen eingeladen zu werden.
Scott seufzte beim Anblick des hingeklatschten Baus aus
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