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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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wirklich sehr freundlich von Ihnen.«
    »Bin gleich bei Ihnen.«
    Hope hörte, wie der Kessel sang. Sie sah sich um und prägtesich so viel von der Wohnung ein, wie sie konnte. An der Wand hing ein Kruzifix neben einem grellbunten Gemälde von Jesus beim Letzten Abendmahl. Das wiederum rahmten verblichene Schwarzweißfotos von Männern mit steifem Kragen und Frauen in Spitzen. Dagegen hoben sich Bilder von einer dunklen, doch grünen Landschaft ab, von Straßen mit Kopfsteinpflaster und einer Kirche mit steilen Türmen. Hope machte sich leicht einen Reim darauf: längst verstorbene Angehörige in einem osteuropäischen Land, das Hilda jahrzehntelang nicht mehr besucht hatte. Es war ein wenig so, als hätte sie die Wände ihrer Wohnung mit Gespenstern tapeziert. Sie suchte immer noch nach der Geschichte der alten Frau: die Farbe, die rund um die Fensterbänke abblätterte; eine Reihe Arzneimittelfläschchen. In einer Ecke stapelten sich Zeitschriften und Zeitungen, und ein mindestens fünfzehn Jahre alter Fernseher stand in der Nähe eines roten Armlehnstuhls. Dies alles wirkte leer.
    Es gab nur ein einziges Schlafzimmer. In der Nähe des Sessels entdeckte Hope einen Korb mit Stricknadeln. Die Wohnung roch ältlich und nach Katzen. Acht oder mehr hockten auf dem Sofa, auf der Fensterbank und an der Heizung. Mehr als eine kam heran und schmiegte sich an Hope. Sie schätzte, dass sich im Schlafzimmer noch einmal doppelt so viele verbargen. Sie holte tief Luft und fragte sich, wie Menschen so einsam enden konnten.
    Mrs. Abramowicz kam mit zwei Tassen dampfendem Tee herein. Sie lächelte der Katzenversammlung entgegen, die sich im Nu an sie schmiegten und ihr auf dem Fuße folgten. »Ist noch nicht ganz Zeit fürs Abendessen, Liebchen. Dauert aber nicht mehr lange. Erst möchte sich Mutter noch ein bisschen unterhalten.« Sie wandte sich an Hope. »Ihren Socks sehen Sie nicht in meiner kleinen Menagerie, oder?«
    »Nein«, sagte Hope und legte einen traurigen Ton auf. »Und im Flur vorhin auch nicht.«
    »Ich versuche, meine Lieblinge aus dem Flur rauszuhalten. Kann ich natürlich nicht die ganze Zeit, weil sie eben kommen und gehen, wie sie wollen, so sind Katzen nun mal. Weil ich nämlich glaube, dass
er
etwas Schlimmes mit ihnen macht.«
    »Wie kommen Sie darauf …«
    »Er weiß nicht, dass ich jede von ihnen genau kenne. Und alle paar Tage fehlt eine. Ich würde gerne die Polizei holen, aber er hat recht. Die würden mir wahrscheinlich meine übrigen kleinen Freunde wegnehmen, und das könnte ich nicht ertragen. Er ist ein schlechter Mensch, und ich wünschte, er würde ausziehen. Ich würde niemals …«
    Mrs. Abramowicz schwieg, und Hope beugte sich vor. Die alte Frau seufzte und sah sich in ihrer Wohnung um.
    »Ich fürchte, meine Liebe, dass dieser böse Mensch ihn sich geschnappt haben könnte, falls Ihr Socks hier zu Besuch war. Oder ihm etwas angetan hat. Das kann ich nicht sagen.«
    Hope nickte. »Der klingt schrecklich.«
    »Er macht mir Angst, und normalerweise rede ich nicht mit ihm, außer wenn wir wie heute eine Auseinandersetzung haben. Ich glaube, ein paar von den anderen, die hier leben, fürchten sich auch vor ihm, aber die sagen auch nichts. Und was können wir schon machen? Er bezahlt seine Miete pünktlich, macht keinen Lärm, feiert keine wilden Partys, und alles andere ist den Eigentümern egal.«
    Hope nippte an dem süßen Tee. »Ich wünschte, ich könnte mir sicher sein. Ich meine, wegen Socks.«
    Mrs. Abramowicz lehnte sich zurück. »Da gäbe es eine Möglichkeit«, sagte sie langsam, »wie Sie ganz sicher sein könnten. Und gleichzeitig würde es mir ein paar Fragen beantworten. Ich bin alt und nicht mehr sehr kräftig. Und ich habe Angst.Aber ich weiß nicht, wo ich sonst hin soll. Sie dagegen, meine Liebe, Sie scheinen wesentlich stärker zu sein. Sogar stärker, als ich früher war, in Ihrem Alter. Und ich möchte wetten, dass Ihnen so schnell keiner Angst einjagt.«
    »Das stimmt.«
    Wieder lächelte die alte Frau, beinahe schüchtern. »Als mein Mann noch lebte, war unsere Wohnung größer. Da hat genauer gesagt der ganze Teil dazugehört, in dem jetzt Mr. O’Connell wohnt. Wir hatten zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer, ein Arbeitszimmer und ein richtiges Esszimmer und die ganze Rückseite des Gebäudes für uns. Aber als mein Alfred starb, haben sie die Wohnung in drei Teile zerschnitten. Allerdings haben sie es sich ein bisschen leichtgemacht.«
    »Leicht?«
    Mrs. Abramowicz

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