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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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fröstelte bei dem Gedanken und zitterte. Dies war das letzte Spiel. Der Winter stand vor der Tür. Es war Zeit, mit dem anderen Spiel zu beginnen.
     
    Auch wenn sie es nicht wusste, hatte sie ihren Wagen genau an derselben Stelle schräg gegenüber von O’Connells Haus geparkt wie seinerzeit Matthew Murphy. Sie lehnte sich auf dem Sitz zurück und zog ihre Strickmütze ein wenig tiefer. Abschließend rückte sie eine neue Brille mit Fensterglas auf der Nase zurecht. Sie trug sonst keine Brille, doch sie ging davon aus, dass ein wenig Maskierung nicht schaden konnte. Hope war sich nicht sicher, ob Michael O’Connell sie je gesehen hatte, doch sie vermutete, dass das der Fall war. Wahrscheinlich hatte er mit jedem von ihnen mehr oder weniger dasselbe getan, was sie in diesem Augenblick tat. Sie trug Jeans und einen alten Kolani gegen die Kälte am Spätnachmittag. Auch wennHope durchschnittlich fünfzehn Jahre mehr auf dem Buckel hatte als die Studenten in der Gegend, konnte sie doch jung genug aussehen, um als älteres Semester durchzugehen. Verzweifelt darum bemüht, möglichst unauffällig zu wirken, hatte sie ihre Kleider mit derselben Nervosität ausgewählt wie jemand vor einem ersten Date. Sie wollte wie ein Chamäleon, das die Färbung seiner Umgebung annimmt, mit den Straßen von Boston verschmelzen und sich unsichtbar machen.
    Sie ging davon aus, dass er sie nach wenigen Minuten ent decken würde, falls sie einfach im Wagen sitzen blieb.
    Geh lieber davon aus, dass er alles weiß, schärfte sie sich ein, dass er weiß, wie du aussiehst, und sich jede Einzelheit deines vier Jahre alten Kleinwagens eingeprägt hat, einschließlich des Kennzeichens.
    Hope saß reglos da und konnte den Gedanken nicht loswerden, dass sie für ihn allzu leicht zu erkennen war und eine falsche Brille daher herzlich wenig brachte. Sie betrachtete Murphys Bericht auf ihrem Schoß, warf einen weiteren langen Blick auf O’Connells Foto, das ihm beigefügt war, und fragte sich, ob sie ihn erkennen würde. Da ihr nichts Besseres einfiel, öffnete sie die Tür und trat auf die Straße.
    Sie warf einen verstohlenen Blick auf O’Connells Adresse und wünschte sich, es möge endlich so dunkel werden, dass er in seiner Wohnung Licht machen musste; dann wurde ihr bewusst, dass er viel eher sie sehen würde als umgekehrt, wenn sie in seine Richtung starrte. Sie drehte sich um und lief zügig bis ans Ende des Häuserblocks, während sie das Gefühl nicht abschütteln konnte, dass sich ihr ein Augenpaar in den Rücken bohrte. Sie ging um die Ecke und blieb stehen. Was nützte es, seine Wohnung zu observieren, wenn sie sich davonstahl?
    Sie holte tief Luft und fühlte sich völlig inkompetent.
    Nutzlos, nutzlos, sagte sie sich. Geh zurück, finde ein Versteckin einem Durchgang oder hinter einem Baum und warte. Hab so viel Geduld wie er.
    Als sie kehrtmachte, erneut um die Ecke lief und den Häuserblock nach einem Versteck absuchte, schüttelte sie gerade den Kopf über ihr Verhalten, als sie O’Connell aus seinem Gebäude kommen sah. Er reckte das Gesicht gen Himmel und grinste, so dass er eine bösartige Unbekümmertheit verströmte, die sie in Rage versetzte. Sie war wütend; es kam ihr vor, als machte er sich über sie lustig, obwohl natürlich nichts darauf schließen ließ, dass er die geringste Ahnung von ihrer Nähe hatte. Sie huschte zur Seite und versuchte, sich an eine Wand zu drücken, während sie ihn weiter beobachtete und hoffte, dass ihre Blicke sich nicht trafen. Im selben Moment entdeckte sie eine kleine, verhutzelte ältere Frau, die Michael O’Connell auf derselben Straßenseite entgegenkam. Hope bemerkte, dass sich seine Miene verfinsterte, kaum dass er sie entdeckt hatte. Der Ausdruck in seinem Gesicht machte Hope Angst; es war, als hätte der Mann sich im Bruchteil einer Sekunde verwandelt – von hemdsärmeliger Nonchalance zu geballtem Zorn.
    Die alte Frau schien der Inbegriff an Harmlosigkeit zu sein. Ihr Gang war quälend langsam. Sie war klein und gedrungen und trug einen schäbigen schwarzen Mantel, der wahrscheinlich zwanzig Jahre alt war, und dazu eine bunte Strickmütze auf dem Kopf. Mit beiden Händen trug sie schwere weiße Plastiktüten mit Lebensmitteleinkäufen. Kaum entdeckte die alte Frau Michael O’Connell, sah Hope, wie ihre Augen blitzten und sie ein wenig von ihrer Route abkam, um ihm den Weg zu verstellen.
    Hope drückte sich auf der anderen Straßenseite eng an einen Baum.
    Die Frau versuchte,

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