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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Gegner an, indem er ihn langsam von oben bis unten musterte, als hätte er von dem Prügel, der auf seinen Kopf zielte, nicht das Geringste zu befürchten. Der Mann war zugleich weich und kräftig gebaut – ein Bierbauch wölbte sich über der verfleckten Jeans, und auf den muskulösen Armenprangte eine Reihe verschlungener Tattoos. Über der Hose und den Stiefeln trug er nur ein schwarzes T-Shirt mit dem Harley-Davidson-Logo, als könnten ihm die frostigen Novembertemperaturen nichts anhaben. Sein dunkles, kurz geschnittenes Haar hatte graue Strähnen. Ein Tattoo mit dem Namen Lucy an seinem Unterarm war vermutlich alles, was abgesehen von Sohn und Haus von seiner Ehe übriggeblieben war. Scott schätzte, dass der Mann getrunken hatte, auch wenn er weder torkelte noch lallte. Wahrscheinlich hatte er nur so viel intus, dass es ihm die Hemmungen löste und sein Denken benebelte, was für Scott nur von Vorteil sein konnte.
    Scott verschränkte langsam die Arme und schüttelte den Kopf, um zu unterstreichen, dass er Herr der Situation war. »Ich könnte Ihnen den größten Ärger Ihres Lebens machen, Mr. O’Connell. Und zwar mit ausgesprochen schmerzhaften Begleiterscheinungen. Andererseits könnte ich auch von großer Hilfe für Sie sein. Das wäre eine Gelegenheit für Sie, sich eine nette Summe nebenher zu verdienen. Was von beidem darf es sein?«
    Der Axtstiel senkte sich ein Stück.
    »Reden Sie weiter.«
    Scott schüttelte den Kopf. Er improvisierte.
    »Ich verhandle nicht auf der Straße, Mr. O’Connell. Und dem Mann, den ich vertrete, wäre es ganz bestimmt nicht recht, wenn ich seine Geschäfte vor der ganzen Nachbarschaft ausbreite.«
    »Wovon zum Teufel reden Sie?«
    »Gehen wir ins Haus, dann können wir ein bisschen unter vier Augen plaudern. Sonst steige ich wieder in meinen Wagen, und Sie sehen mich nie wieder. Allerdings könnte es sein, dass jemand anders Ihnen einen kleinen Besuch abstattet. Und dieser Jemand oder besser gesagt, diese Jemande, Mr. O’Connell,werden ganz bestimmt nicht annähernd so zugänglich sein wie ich. Die haben vollkommen andere Verhandlungsmethoden.« Scott ging davon aus, dass O’Connell einen Großteil seines Lebens damit zugebracht hatte, Drohungen einzustecken oder auszuteilen, so dass er diese Sprache verstehen würde.
    »Wie, sagten Sie noch gleich, war Ihr Name?«, fragte O’Connell.
    »Ich habe ihn nicht genannt. Habe ich auch eigentlich nicht vor.«
    O’Connell zögerte und ließ den Axtstiel noch tiefer sinken. »Was soll das?«, wollte er wissen. Doch sein Tonfall verriet ein gewisses Interesse.
    »Es geht um Schulden. Mehr werde ich Ihnen für den Augenblick nicht verraten. Die Sache könnte sich für Sie lohnen – es könnte einiges Geld dabei rausspringen. Oder auch nicht. Liegt ganz bei Ihnen.«
    »Wieso sollten Sie mir was zahlen?«
    »Jemandem was zu zahlen ist immer leichter als die Alternative.« Scott ließ O’Connells Vater darüber brüten, was wohl mit der Alternative gemeint war.
    Wieder hielt O’Connells Vater inne, dann ließ er den Axtstiel vollends an seiner Seite baumeln. »Meinetwegen. Ich kauf Ihnen diesen Quatsch zwar nicht ab, aber von mir aus kommen Sie rein. Sagen Sie mir, worum es geht, spucken Sie aus, was Sie von mir wollen.«
    Damit machte er Scott mit dem Axtstiel Zeichen, ihm über die Straße ins Haus zu folgen.
     
    Jenseits eines Feldwegs parallel zum Westfield River gibt es unterhalb der Chesterfield Gorge im Wald eine Stelle, an der zu beiden Ufern zwanzig Meter hohe graue Felsplatten aufragen, die prähistorische seismische Erdverschiebungen einstaufgetürmt haben. In den kälteren Monaten ist diese Stelle bei Jägern, in der wärmeren Jahreszeit bei Anglern beliebt. An den heißesten Sommertagen machten sich Ashley und ihre Freunde zu dieser Stelle auf, um im kühlen Wasser nackt zu baden.
    »Ich denke, du solltest beide Hände benutzen«, erklärte Catherine streng. »Halte die Waffe ruhig in der rechten Hand, fass mit der linken nach, ziele und drücke ab.«
    Ashley grätschte die Beine ein wenig, legte die Linke über die Rechte und spannt, den Zeigefinger am Abzug, die Muskeln an. »Los geht’s«, meinte sie ruhig.
    Sie drückte ab, und die Waffe in ihrer Hand machte einen Ruck. Der Schuss hallte durch den Wald, und an der Eiche, auf deren Stamm sie gezielt hatte, splitterte Rinde ab.
    »Wow. Das kribbelt im ganzen Unterarm.«
    Catherine nickte. »Ich glaube, du musst fünf, sechs Mal abdrücken, während du ruhig

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