Das Opfer
zielst, so dass alle sechs Schuss dicht beieinander treffen. Kannst du das versuchen?«
»Es fühlt sich an, als wollte das Ding in alle Richtungen springen, als wäre es lebendig.«
»Wahrscheinlich kann man sagen, dass es eine eigene Persönlichkeit hat.«
Ashley nickte, und Catherine fügte hinzu: »Und keine besonders nette.«
»Ich versuch’s noch einmal.«
Wieder nahm sie eine schussbereite Stellung ein und packte diesmal mit der Linken fester zu, um die Waffe ruhig zu halten. »Auf ein Neues.«
Sie feuerte die übrigen fünf Schuss hintereinander ab. Drei trafen den Baumstamm in einem Abstand von sechzig bis neunzig Zentimetern. Die anderen beiden gingen daran vorbei in den Wald. Sie hörte sie zischen und ein paar Äste mit den letzten tief hängenden Blättern knistern. Die kahlen Bäumeringsum schienen das Echo der Schüsse zurückzuwerfen, so dass es ihr in den Ohren dröhnte. Sie atmete mit einem gedehnten Pfeifen aus.
»Nicht die Augen zumachen«, sagte Catherine.
»Ich glaube, ich sollte es noch einmal versuchen.«
Ashley ließ die Trommel aufschnappen und die leeren Patronenhülsen auf den Nadelboden fallen. Bedächtig nahm sie das nächste halbe Dutzend Kugeln und legte sie ein. »Ich werde das Ding nur ein einziges Mal benutzen.«
»Ja. Und nur dann, wenn du keine andere Wahl hast.«
»Genau.« Ashley drehte sich halb um und zielte erneut auf den Stamm. »Nur im äußersten Notfall.«
»Wenn dir nichts anderes übrigbleibt.«
»Wenn mir nichts anderes übrigbleibt.«
Es hätte dazu eine Menge zu sagen gegeben, doch beide Frauen scheuten sich, laut auszusprechen, was sie dachten, selbst in der stillen Anonymität des Waldes.
Scott lief langsam den etwa dreißig Meter langen, spärlich mit Schotter bedeckten Weg zu O’Connells Haus hinauf. Es war ein einstöckiges, weißes Holzhaus, auf dessen Dach neben einer neueren Satellitenschüssel eine eingeknickte Fernsehantenne wie der gebrochene Flügel eines Vogels hing. Vor dem Haus stand ein verblichener roter Toyota, an dem eine Tür fehlte und dessen eine Achse auf einem Stein aufgebockt war. Das Blech war überall rostig verfleckt. Vor einer Seitentür parkte – zur Hälfte durch ein Flachdach aus gewelltem Plastik geschützt – ein neuerer schwarzer Pick-up. Das Dach machte den Platz darunter zu einer Art Carport, den sich der Wagen allerdings mit einer ramponierten roten Schneefräse und einem Schneemobil ohne Tretwerk teilen musste. Als Scott an dem Pick-up vorbeikam, fielen ihm außerdem eine Aluminiumleiter,ein hölzerner Werkzeugkasten und einiges Bedachungsmaterial ins Auge, das achtlos herumlag. O’Connell verwies ihn auf den Nebeneingang, auch wenn es an der Vorderfront eine Haustür gab. Vermutlich wurde sie selten benutzt.
Gibt sicher auch noch eine Hintertür, dachte Scott und nahm sich vor, das zu überprüfen.
»Hier lang. Ist ein bisschen unaufgeräumt. Ich hab nicht mit Besuch gerechnet«, sagte O’Connells Vater grimmig.
Scott trat durch eine Aluminium-Fliegengittertür, dann durch eine zweite aus massivem Holz und gelangte in eine kleine Küche. Unaufgeräumt war vornehm ausgedrückt. Pizzaschachteln. Fertiggerichte für die Mikrowelle. Drei Kästen Coors Light in Silberfolienverpackung. Eine Flasche Johnnie Walker Black Label auf dem Tisch ergänzte die Phalanx an Dosen.
»Gehen wir ins Wohnzimmer, da können wir uns setzen, Mr. – na schön, wie immer Sie heißen. Wie soll ich Sie nennen?«
»Smith wäre mir recht«, meinte Scott. »Und falls Sie sich das nicht merken können, tut’s auch Jones.«
O’Connells Vater prustete ein wenig.
»Meinetwegen, Mr. Smith oder Jones. Wo ich Sie jetzt schon mal zu mir eingeladen habe, wäre es, finde ich, an der Zeit, dass Sie sich da drüben hinsetzen, wo ich Sie im Auge habe, und mir klipp und klar sagen, was Sie wollen, damit ich nicht doch noch das Gefühl habe, mein Axtstiel sollte ein paar Takte mit Ihnen reden. Und am besten kommen Sie möglichst schnell zu dem Teil, wie ich mir ein paar Mäuse nebenher verdienen kann. Ein Bier?«
Scott betrat ein kleines Wohnzimmer. Es war mit einem abgewetzten Sofa, einem Lehnstuhl und einer großen rot-weißen Kühlbox ausgestattet, die als Beistelltisch diente und nahe bei einem überdimensionierten Fernseher stand. Der Boden war mit Zeitungen, pornografischen Heften sowie Reklameblätternvon Lebensmittelketten und Katalogen von Jagdgeschäften übersät. Auf einem klapprigen Tisch stand ein betagter Computer. Von
Weitere Kostenlose Bücher