Das Opfer
Wagens.
Sally war inzwischen Richtung Boston umgekehrt. Sie steuerte ein besonders exklusives Einkaufsviertel in Brookline an. Das erste Mal hielt sie vor einem Geldautomaten an einer Ladenstraße und zog mit ihrer Kreditkarte hundert Dollar. Sie achtete darauf, direkt nachdem der Automat ihr Geld ausspuckte, den Kopf zu heben, damit die Überwachungskamera ihr Gesicht gut aufnehmen konnte. Dann verstaute sie ihre Quittung mit genauer Zeitangabe in ihrer Tasche.
Anschließend ging sie in die Mall, wo sie ein teures Wäschegeschäft betrat. Einen Moment blieb sie zwischen den Ständern mit Seiden- und Spitzendessous stehen, bis sie eine der jüngerenVerkäuferinnen entdeckte. Das Mädchen war wohl kaum älter als Ashley.
Sally ging auf sie zu und sprach sie an: »Ob Sie mir vielleicht behilflich sein könnten?«
»Selbstverständlich«, antwortete die junge Frau. »Was suchen Sie denn?«
»Also, ich wollte meiner Tochter etwas mitbringen, sie hat ungefähr Ihre Größe. Etwas Besonderes, weil sie ein paar harte Wochen hinter sich hat. Sie hat sich von ihrem Freund getrennt, wissen Sie, und ich wollte ihr was schenken, worin sie sich schön und sexy findet, nachdem ihr so ein Trottel das Gefühl gegeben hat, das Gegenteil wäre der Fall. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Oh ja, und ob«, sagte die Verkäuferin und nickte. »Das ist sehr einfühlsam von Ihnen.«
»Na ja, so sind Mütter nun mal, nicht wahr? Und außerdem würde ich gerne einer besonderen Freundin was Nettes mitbringen. Jemandem, zu der ich, na ja, in letzter Zeit nicht sehr nett gewesen bin. Vielleicht einen Seidenpyjama?«
»Da kann ich Ihnen auch weiterhelfen. Wissen Sie die Größe?«
»Oh, ja, natürlich. Der ist für eine sehr enge Freundin. Wir teilen viel miteinander, drüben in West-Massachusetts, wo wir leben. Und in letzter Zeit haben wir einige Höhen und Tiefen hinter uns, und ich habe etwas wiedergutzumachen. Blumen sind ja immer ganz nett, aber bei einer besonderen Beziehung ist es manchmal besser, etwas zu kaufen, das länger hält, meinen Sie nicht?«
Das Mädchen lächelte. »Unbedingt.«
Sally ging davon aus, dass die Erwähnung von West-Massachusetts – im gesamten Bundesstaat dafür bekannt, dass sich dort Frauen mit ihren Lebensgefährtinnen tummelten – bei dem Mädchen einen bleibenden Eindruck hinterlassen würde.Sie folgte ihr zu den Ständern mit teurer Unterwäsche. Sie glaubte, dass sie genug gesagt hatte, um bei der jungen Dame nicht so schnell in Vergessenheit zu geraten. Sally dachte außerdem daran, eine Kreditkarte zu benutzen, die sie ebenfalls unzweifelhaft mit diesem Ort in Verbindung bringen würde. Sie überlegte, ob sie vielleicht auch noch der Geschäftsleitung ein Kompliment zur Wahl ihrer Mitarbeiterinnen machen sollte. An solche Gespräche konnte man sich auch zu einem späteren Zeitpunkt noch erinnern.
Sally fühlte sich wie auf einer Bühne, als rezitierte sie Zeilen, die aus der Not geboren waren.
»Die hier gehören zu unseren hübschesten Sachen«, erklärte die Verkäuferin.
Sally lächelte, als wäre das, was sie da machte, das Natürlichste auf der Welt. »Oh ja, wirklich.«
Mehr oder weniger zur gleichen Zeit befanden sich Catherine und Ashley in einem Bio-Supermarkt knapp anderthalb Kilometer von Hopes und Sallys Haus entfernt und schoben einen Einkaufswagen mit einer Menge ausgefallener organischer Lebensmittel vor sich her. Während der ganzen Fahrt hatten sie geschwiegen.
Als sie nicht weit vom Eingang einen Gang entlangkamen, entdeckte Ashley eine üppige Dekoration aus frischen Kürbissen, die kunstvoll aufgetürmt und mit getrockneten Maishalmen geschmückt waren. Das Ganze sollte an Thanksgiving erinnern, und so vervollständigten Walnüsse, Preiselbeeren und ein Truthahn aus Papier das Bild. Ashley stieß Catherine an und deutete auf die Dekoration.
Catherine nickte.
Zusammen schoben sie den Wagen dicht an den Turm. Als sie gerade direkt an dem Tisch vorbeikamen, auf dem die Auslagengestapelt waren, sagte Catherine laut: »Oh, verdammt, wir haben den Bohnen-Dip vergessen.«
Während sie das sagte, legten sie sich mit dem Wagen schwungvoll in die Kurve, so dass das Vorderrad am Tischbein hängenblieb. Die ganze Dekoration wackelte einen Moment, und Ashley gab einen kurzen Aufschrei von sich, beugte sich vor, als versuchte sie, alles festzuhalten, während sie in Wahrheit den größten Kürbis an der Basis wegzog.
In Sekunden war alles mit einem lauten Krach in sich
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