Das Opfer
wartete, bis Sally eine Lücke zweiReihen weiter genommen hatte, und zu ihr hinüberkam. Sie sah, wie sie sich nervös umschaute und wie blass sie war.
Sally schüttelte bereits den Kopf. »Ich kann nicht zulassen, dass du das machst. Das ist meine Aufgabe …«
»Das hatten wir doch längst«, erwiderte Hope. »Und jetzt läuft es, so wie geplant. Jetzt alles umzuwerfen würde vermutlich alles vermasseln.«
»Ich kann es einfach nicht.«
Hope atmete tief ein. Das hier war ihre Chance, dachte sie. Sie konnte noch kneifen. Sich weigern. Einmal durchatmen und fragen: Was zum Teufel haben wir uns eigentlich dabei gedacht?
»Und ob du kannst. Du musst«, entgegnete Hope. »Wir sind Ashleys einzige Chance. Und wahrscheinlich liegt auch für jeden von uns die einzige Chance darin, dass jeder das tut, wozu er fähig ist. So einfach ist das.«
»Hast du Angst?«
»Nein«, log Hope.
»Wir sollten es abblasen, jetzt. Ich glaube, wir haben den Verstand verloren.«
Ja, das haben wir wahrscheinlich, dachte Hope.
»Wenn wir es jetzt nicht zu Ende bringen und Ashley das Schlimmste passiert, dann wird sich keiner von uns für den Rest unserer Tage, egal wie lange wir noch zu leben haben, auch nur eine Sekunde lang verzeihen können, dass wir das zugelassen haben. Ich glaube, ich kann mir vergeben, was ich gleich tun werde. Aber einfach abzuwarten und zuzusehen, wie Ashley etwas zustößt, das nähmen wir alle mit ins Grab.« Hope holte tief Luft. »Wenn
wir
nicht handeln, dann handelt
er
, und wir werden nie mehr ruhig schlafen können.«
»Ich weiß«, sagte Sally und schüttelte den Kopf.
»Und jetzt die Waffe. Im Rucksack?«
»Ja.«
»Uns bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, oder?«
Sally sah auf ihre Stoppuhr. »Ich glaube, du liegst etwa eine Viertelstunde zurück. Scott sollte etwa um diese Zeit auch in Stellung gehen.«
Hope lächelte und schüttelte den Kopf. »Weißt du, als Kind habe ich so oft Spiele gegen die Zeit gespielt. Die Zeit ist immer ein entscheidender Faktor. Das hier ist nicht viel anders. Ich muss los. Sofort. Das weißt du so gut wie ich. Wenn wir dieses Spiel zu Ende bringen, dann wäre es schrecklich, wenn es schiefginge, weil wir nicht schnell genug waren. Fahr jetzt einfach los, Sally. Tu, was auf deiner Liste steht. Und ich erledige das Meine. Am Ende ist dann vielleicht alles wieder in Ordnung.«
Es gab viel, was Sally in diesem Moment hätte sagen wollen, aber sie schwieg. Sie nahm Hopes Hand und drückte sie fest, während sie gegen die Tränen ankämpfte. Hope lächelte und meinte: »Fahr los. Es ist spät. Das ist nicht der Moment zum Reden. Das ist der Moment zum Handeln.«
Sally nickte, ließ den Rucksack auf dem Boden von Hopes Wagen sinken und winkte ihr zaghaft hinterher, als sie vom Parkplatz fuhr. Zur Highway-Auffahrt waren es keine fünfhundert Meter, und Hope wusste, dass sie sich beeilen musste, um den zeitlichen Abstand zwischen ihr und Michael O’Connell aufzuholen. Sie sah absichtlich nicht in den Rückspiegel, bis sie von ihrem Treffpunkt weit genug entfernt war, um nicht sehen zu müssen, wie Sally verloren zwischen den Autos stand.
Scott fuhr mit seinem zerbeulten Pick-up auf den Studentenparkplatz eines großen Community College ungefähr zehn Kilometer von dem Haus entfernt, in dem Michael O’Connellaufgewachsen war. Unter den anderen Fahrzeugen, die hier standen, fiel sein ramponiertes Vehikel nicht weiter auf.
Er vergewisserte sich, dass ihn niemand beobachtete, und zog eilig eine alte Jeans, ein Sweatshirt, einen abgetragenen alten Parka und Sportschuhe an. Er stülpte sich eine marineblaue Mütze über Kopf und Ohren und setzte sich, trotz der einsetzenden Abenddämmerung, eine Sonnenbrille auf. Er schnappte sich einen Rucksack, tastete nach dem Handy in seiner Jackentasche und stieg aus.
Seiner Stoppuhr nach war Michael O’Connell jetzt seit knapp siebzig Minuten unterwegs. Er würde rasen, rief sich Scott ins Gedächtnis, und ums Verrecken keine Pause einlegen, außer vielleicht, wenn ihn die Polizei anhielt, was ihnen nur zugute kommen konnte.
Scott zog die Schultern ein und überquerte den Parkplatz. Er wusste, dass es nicht weit vom College-Eingang eine Buslinie gab, so dass er bis auf etwa anderthalb Kilometer an das Haus von O’Connell herankam. Er hatte sich den Fahrplan eingeprägt und das nötige Kleingeld für die Hinfahrt in die rechte, das für die Rückfahrt in die linke Tasche gesteckt.
Ein halbes Dutzend Schüler und Studenten
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