Das Opfer
ein falsches, aufgesetztes Lachen, das noch mehr Wut auslöste.
Michael O’Connell biss die Zähne zusammen und riss die Bade zimmertür auf. Er zog einen Duschvorhang zurück, der nach Moder und Schimmel roch. Ein Pillendöschen auf dem Waschbeckenrand fiel zu Boden, so dass sich die Tabletten quer über den Fliesenboden verstreuten. Er bückte sich und hob das Plastikdöschen auf, sah, dass es ein Herzmittel war, und lachte.
»Die alte Pumpe macht dir zu schaffen, wie?«, sagte er laut.
»Lass meine Sachen gefälligst in Ruhe«, gab der Vater zur Antwort.
»Du kannst mich mal«, flüsterte Michael O’Connell. »Hoffentlich tut es noch ordentlich weh, bevor es dich umbringt.«
Er warf das Döschen wieder zu Boden, wo er es zusammen mit den Pillen zertrat. Er lief in das zweite Schlafzimmer.
Das französische Bett war nicht gemacht, die Wäsche schmutzig.Es roch nach Rauch, Bier und dreckigen Kleidern. Ein Wäschepuff aus Plastik quoll von Sweatshirts und Unterwäsche über. Auf dem Nachttisch stand eine weitere Phalanx Tablettendosen neben halbvollen Schnapsflaschen und einem defekten Wecker. Er leerte sämtliche Döschen in die Hand und steckte die Tabletten in die Tasche, bevor er die Döschen aufs Bett warf. Kleine Überraschung, wenn du sie brauchst, dachte er.
Michael O’Connell ging zum Schrank und riss die Doppeltür auf. Die eine Hälfte – diejenige, die einmal seiner Mutter gehört hatte – war leer. Die andere füllten die Kleider seines Vaters – sämtliche Hosen, Hemden, Sportjacketts und Krawatten, die er nie trug.
Er ließ die Türen offen und ging zu der Glasschiebetür, die zum Garten führte. Er zog daran. Doch sie war abgeschlossen. Er drückte das Gesicht an die Scheibe, um in die Dunkelheit zu spähen. Er schloss auf und trat nach draußen, ohne auf seinen Vater zu reagieren, der hinter ihm brüllte: »Was soll das nun wieder werden?«
Michael O’Connell sah nach rechts und links. Da hinten gab es kein Versteck, dachte er.
Er drehte sich um und kehrte ins Haus zurück. »Ich seh im Keller nach«, rief er, »Wenn du mir die Mühe ersparen willst, sag mir, wo sie ist, Alter, oder muss ich dich ein bisschen unsanft aushorchen?«
»Tu, was du nicht lassen kannst. Sieh ruhig im Keller nach. Und weißt du was? Du machst mir auch jetzt keine Angst, nicht mehr als früher.«
Das werden wir ja sehen, dachte Michael O’Connell.
Er ging zu der Tür, die zum Keller führte. Es war ein dunkler, muffiger Ort. Voller Spinnweben und Staub. Mit neun Jahren hatte ihn seit Vater einmal hier eingesperrt. Seine Mutter warweg gewesen, und er hatte etwas getan, um den Alten zu ärgern. Sein Vater hatte ihn zuerst gegen die Schläfe geschlagen und dann die Kellertreppe hinuntergestoßen, wo er ihn eine Stunde lang im Dunkeln gelassen hatte. Michael O’Connell stand auf dem obersten Treppenabsatz. Was er an seinem Vater und seiner Mutter am meisten gehasst hatte, war die seltsame Tatsache, dass all der Streit, all das Gebrüll und der Schlagabtausch sie nur noch stärker zusammengeschweißt hatten. All das, was sie normalerweise auseinandergebracht hätte, das hatte ihre Beziehung zementiert.
»Ashley!«, brüllte er. »Bist du da unten?«
Eine nackte Glühbirne an der Decke warf ein wenig Licht in die hintersten Winkel. Auf der Suche nach ihr spähte er in jeden Schatten.
Der Keller war leer.
Er merkte, wie ihm die Wut die Brust einschnürte und Hitzewellen ihm in die Arme und die geballten Fäuste schossen. Er drehte sich um und kehrte in das kleine Wohnzimmer zurück, wo sein Vater auf ihn wartete.
»Sie ist da gewesen, stimmt’s?«, fragte Michael O’Connell. »Noch nicht lange her, habe ich recht? Um mit dir zu reden. Ich hab’s nur nicht rechtzeitig geschafft, und dann hat sie dir gesagt, du sollst mich belügen.«
Der Ältere zuckte die Achseln. »Du redest immer noch dummes Zeug.«
»Sag mir die Wahrheit.«
»Ich sage die Wahrheit. Ich hab keinen Schimmer, was du da faselst.«
»Wenn du mir nicht sagst, wie es gewesen ist, was sie dir gesagt hat, als sie zu dir kam, und wohin sie wollte, dann tu ich dir weh, alter Mann. Ich mach keine Witze. Ich kann das, und ich mach das – und glaube mir, ich kann dir mächtig weh tun, unddu bist mir so scheißegal wie schon immer. Also, spuck’s endlich aus: Was hast du zu ihr gesagt, als sie dich anrief?«
»Du bist entweder verrückter, als ich mich erinnern kann, oder dümmer. Im Moment ist mir nicht klar, was von beidem.« Der alte
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