Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
und Wassernäpfe hingestellt. Er senkte den Blick, und einige flitzten davon. Das waren die cleveren, dachte er, die eine Bedrohung erkannten, auch wenn sie nicht wussten, worin sie bestand. Die anderen liefen kreuz und quer. Er öffnete seine Tür so leise wie möglich und horchte auf Geräusche in den anderen Wohnungen, besonders in der der alten Frau. Dann kniete er sich nieder und streckte die Hand aus, bis eine der vertrauensseligsten Katzen nahe genug herankam, damit er sie am Kopf kraulen konnte. Mit einer schnellen, geübten Bewegung packte er das Tier am Hals und trug es in seine Wohnung.
    Das Opfer strampelte einen Moment und versuchte, sich durch Winden und Kratzen zu befreien, doch O’Connell hielt es mit eisernem Griff. Er ging in die Küche und zog eine große Reißverschlusstasche hervor. Diese würde den anderen in der Tiefkühltruhe Gesellschaft leisten. Wenn er ein halbes Dutzend beisammen hatte, sagte er sich, würde er sie irgendwo in einen entfernten Container werfen. Und dann von neuem anfangen. Er traute der Alten nicht zu, dass sie die Zahl ihrer Haustiere kannte. Außerdem hatte er sie ein, zwei Mal höflich gebeten, nicht gar so viele zu halten. Sie war seiner höflichen Bitte nicht nachgekommen und hatte damit das Todesurteil über die Katzen gesprochen. Er war nur der Vollstrecker.
     
    Scott hörte seiner Exfrau aufmerksam zu und wurde von Sekunde zu Sekunde wütender.
    Nicht, weil sie seine Intuition ignoriert hatte, und auch nicht, weil er von Anfang an richtig gelegen hatte. Was ihn auf diePalme brachte, war dieser kontrollierte Ton. Doch er sagte sich, dass es der Situation nicht dienlich war, mit Sally Streit anzufangen.
    »Also«, resümierte sie, »ich glaube, und Ashley glaubt das auch, dass es das Beste wäre, wenn du nach Boston fahren und sie übers Wochenende nach Hause holen würdest, damit sie ein bisschen Abstand gewinnt und richtig einschätzen kann, welche Probleme der Mann ihr tatsächlich machen kann.«
    »In Ordnung«, stimmte Scott zu. »Ich fahr morgen hin.«
    »Mit einem bisschen Abstand sieht man meistens klarer«, erklärte Sally.
    »Du musst es ja wissen«, gab Scott den Ball zurück.
    Sally wollte schon mit einem ähnlichen Sarkasmus kontern, überlegte es sich aber anders.
    »Scott, kannst du einfach nur Ashley holen? Ich würde selbst fahren, aber …«
    »Nein, ich mach das schon. Wahrscheinlich hast du einen Gerichtstermin oder sonst etwas, das nicht warten kann.«
    »Ja, habe ich tatsächlich.«
    »Außerdem habe ich auf der Rückfahrt die Gelegenheit, sie auszufragen. Dann können wir zusammen überlegen, wie wir vorgehen wollen. Ein bisschen weiter planen, als sie nur übers Wochenende zu holen. Vielleicht reicht es ja schon, wenn ich mit dem Kerl rede.«
    »Ich denke, bevor wir die Sache an uns reißen, sollten wir Ashley jede erdenkliche Möglichkeit lassen, es selbst zu lösen. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu.«
    »Das ist genau der durch und durch rationale, ach so vernünftige Standpunkt, den ich wirklich hasse«, brauste Scott auf.
    Sally sagte nichts. Sie wollte nicht, dass das Gespräch in noch fruchtlosere Bahnen geriet. Außerdem begriff sie, dass Scott durchaus das Recht hatte, sich aufzuregen. So funktionierte ihrGehirn nun mal, betrachtete jedes Wort, das fiel, wie durch ein Prisma, bei dem jede Seite bedeutsam war. Das machte sie zu einer ausgezeichneten Anwältin und gelegentlich zu einem schwierigen Menschen.
    »Vielleicht sollte ich noch heute fahren«, schlug Scott vor.
    »Nein«, widersprach Sally prompt. »Das sähe nach Panik aus. Wir sollten nichts überstürzen.«
    Einen Moment schwiegen sie beide. »Hey«, platzte Scott heraus, »hast du irgendwelche Erfahrungen mit so was?«
    Er dachte dabei an ihren Beruf, doch Sally verstand ihn anders. »Nein«, gab sie auf der Stelle zurück. »Der einzige Mann, der je zu mir gesagt hat, er würde mich für immer lieben, warst du.«
     

     
    In der Lokalzeitung wurde in den letzten Tagen über eine Geschichte berichtet, die in dem Tal, in dem ich lebte, große Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein dreizehnjähriges Kind war in die zehnte Pflegefamilie vermittelt worden und unter fragwürdigen Umständen gestorben. Nicht nur die örtliche Polizei und die Staatsanwaltschaft ermittelten in dem Fall, sondern in einem weiten Umkreis erprobten sich auch die Nachrichtenagenturen an dieser Sache. Die zugänglichen Fakten waren jedoch so undurchsichtig, so dunkel und widersprüchlich, dass die

Weitere Kostenlose Bücher