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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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triftige Gründe ein, wieso nicht, doch es gelang ihm, sie hinunterzuschlucken. »Also dann, halb fünf. Wir könnten uns zum Tee treffen. Wie zivilisierte Menschen.« Sally ließ den Sarkasmus unkommentiert. Sie wandte sich zu Ashley um und fragte, indem sie auf die Tasche deutete: »Ist das dein ganzes Gepäck?«
    »Das ist alles«, erwiderte sie.
     
    Ashley hüpfte vorsichtig um das matschige Spielfeld herum und suchte eine Stelle, von der aus sie sehen konnte, wie Hope das Fußballspiel dirigierte. Nameless war an das Ende der Bank geleint, schlug aber mit dem Schwanz, als er sie sah. Dann legte er den Kopf wieder hin. Löwen, dachte Ashley, als sie zu ihm hinübersah. Die schlafen an einem afrikanischen Tag oft bis zu zwanzig Stunden. Nameless schien sich diesem Standard inzwischen zu nähern, auch wenn er ansonsten nicht viel Löwenhaftes an sich hatte. Manchmal fragte sie sich, ob sie alle miteinander überhaupt zurechtgekommen wären, hätte es ihn nicht gegeben. Es hatte sie immer enttäuscht, dass ihre Mutterdie Bedeutung des Hundes nie richtig würdigen konnte. Rettungshund, dachte sie. Blindenhund. Wachhund. Nameless hatte im metaphorischen Sinne alle diese Rollen ausgefüllt, und jetzt war er alt und fast pensioniert, aber immer noch beinahe so etwas wie ein Bruder.
    Sie ließ den Blick über die Hügelkette in der Ferne schweifen. Die Ortsansässigen bezeichneten den Holyoke Range als Gebirge, doch das war ein wenig übertrieben. Die Rockies sind ein Gebirge, fand sie. Diesen Hügeln wollte man eine Größe verleihen, die sie nicht besaßen, auch wenn sie an einem schönen Herbstnachmittag mit ihrer prächtigen rotbraunen Färbung wettmachten, was sie an Höhe nicht zu bieten hatten.
    Sie drehte sich um und verfolgte wieder das Fußballspiel. Es fiel ihr nicht schwer, sich fünf Jahre zurückzuversetzen, als sie selbst in Blauweiß dort links außen auf und ab gelaufen war. Sie war immer eine gute Spielerin gewesen, wenn auch nicht so gut wie Hope. Hope spielte unbekümmert frei, während Ashley es nie schaffte, ganz aus sich herauszugehen.
    Sie freute sich wie närrisch, als das Mädchen auf ihrer alten Position den spielentscheidenden Treffer landete. Sie wartete ab, bis die Hochrufe und das Händeschütteln ein Ende nahmen. In diesem Moment sah sie, wie Hope Nameless von der Leine befreite und einen Ball zur Mitte des Spielfelds rollte. Nur einen, dachte Ashley, und nicht annähernd so weit geworfen, wie er früher einmal apportieren konnte. Sie sah zu, wie er den Ball einfing und ihn voller Hundefreude mit Schnauze und Vorderpfoten an Hope zurückgab. Als Hope den Ball aufhob und in ein großes Tragenetz packte, entdeckte sie Ashley an der Seitenlinie.
    »Hey, Killer, du bist noch vorbeigekommen. Wie fandest du’s?«
    Als sie ihren Spitznamen hörte, den Hope ihr in ihrem ersten Jahr an der Uni gegeben hatte, musste sie schmunzeln. Hope hatte ihn ihr verpasst, weil sie auf dem Spielfeld viel zu zurückhaltend gewesen war, zu schüchtern inmitten der älteren Mädchen. Also hatte Hope sie beiseite genommen und ihr gesagt, wenn sie spielte, dürfe sie nicht die alte Ashley sein, die sich über die Gefühle anderer Gedanken machte, sondern sich stattdessen in einen Killer verwandeln, der mit aller Härte agierte, der sich und anderen nichts schenkte und den Einsatz brachte, der nötig ist, um am Ende vom Feld zu laufen und sich völlig verausgabt zu haben. Sie beide hatten diese Rolle für sich behalten, weder Sally noch Scott wussten davon, nicht einmal die übrige Mannschaft. Zuerst war sich Ashley dabei albern vorgekommen, doch nach und nach hatte sie es zu schätzen gewusst.
    »Sie sehen gut aus. Stark.«
    Hope blickte an ihr vorbei. »Sally ist nicht mitgekommen?« Ashley schüttelte den Kopf.
    »Wir sind zu jung, zu unerfahren«, erwiderte Hope, auch wenn es ihr nicht gelang, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Aber wenn wir uns nicht einschüchtern lassen, können wir uns ganz gut schlagen.«
    Ashley nickte. Sie fragte sich, ob man über ihre Situation dasselbe sagen konnte.
     
    Scott saß ein bisschen unbehaglich in der Mitte der Wohnzimmercouch, rechts und links neben sich je ein freier Platz. Jede der drei Frauen nahm ihm gegenüber einen eigenen Sessel ein. Es hatte etwas seltsam Förmliches, und er fühlte sich ein wenig wie auf der Anklagebank.
    »Also«, begann er in forschem Ton, »ich denke, die erste Frage lautet, was wissen wir tatsächlich über den Kerl, der Ashleybelästigt? Ich

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