Das Opfer
hatte fast wie ein kleiner Junge geklungen. Das hatte sie ein bisschen verwirrt.
Sie hatte gezögert. »Meinetwegen, versprochen. Heute Abend um acht?«
»Das wäre toll. Wir haben eine Menge zu bereden. Über die Zukunft und so.«
»Großartig«, hatte sie unbeschwert gelogen. Statt auf seine letzte Bemerkung zu antworten, hatte sie aufgelegt und kein Wort darüber fallengelassen, welche Angst er ihr eingejagt hatte, als er ihr bei strömendem Regen bis zur U-Bahn gefolgt war. Kein Wort über die verwelkten Blumen. Kein Wort zu all den Dingen, die ihr eine Gänsehaut einjagten.
Jetzt legte sie alles daran, nicht dauernd zu ihrem Vater an der Bar hinüberzusehen, sondern die Tür im Auge zu behalten. Es war fast acht, und sie hoffte, dass er sie nicht wieder versetzte. Der Plan, den sie mit ihrem Vater ausgearbeitet hatte, war simpel: möglichst früh im Restaurant sein und eine Sitzecke wählen, damit O’Connell, wenn er erst einmal saß, nicht entwischen konnte, sobald Scott sich plötzlich neben ihn plazierte, sondern mit ihnen reden musste. Sie beide würden sich gegenseitig die Bälle zuwerfen und ihn zwingen, sie in Ruhe zu lassen. Zahlenmäßige Überlegenheit. Der Vorteil eines öffentlichen Orts. Psychologisch gesehen, hatte ihr Vater betont, waren sie ihm mehr als gewachsen, und sie würden von Anfang bis Ende die Situation unter Kontrolle haben. Sie mussten nur stark sein. Unerbittlich. Deutlich. Sie durften keine Zweifel daran aufkommen lassen, wie ernst es ihnen war. Scott hatte klar beschrieben, was aller Voraussicht nach passieren würde. Denk dran: Wir sind zu zweit. Wir sind cleverer als er. Wir sind gebildeter. Wir verfügen über größere finanzielle Mittel. Ende der Geschichte. Sie griff nach dem Glas auf dem Tisch und nahm einen Schluck Wasser.
Als sie das Glas absetzte, sah sie O’Connell durch die Tür kommen. Sie richtete sich halb auf und winkte ihn heran. Sie beobachtete, wie er den Blick durch das Restaurant schweifenließ, hätte aber nicht sagen können, ob er Scott an der Bar gesehen hatte. Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihren Vater und bemerkte, wie er sich plötzlich straffte.
Sie holte tief Luft und flüsterte sich zu: »Okay, Ashley. Vorhang auf. Es geht los.«
O’Connell hatte im Nu den Raum durchquert und schlüpfte auf die Bank ihr gegenüber. »Hey, Ashley«, sagte er forsch. »Mensch, tut das gut, dich wiederzusehen.«
Sie konnte sich nicht beherrschen.
»Wieso bist du nicht wie verabredet zum Lunch erschienen?«, fuhr sie ihn an. »Und dann, als du mich beschattet hast …«
»Hab ich dir Angst gemacht?«, fragte er in einem Ton, als hätte sie einen harmlosen Witz erzählt.
»Ja. Wenn du meinst, dass du mich liebst, wieso tust du dann so etwas?«
Er lächelte nur, und Ashley wurde bewusst, dass sie die Antwort besser nicht hören wollte. Michael O’Connell warf den Kopf ein wenig zurück und beugte sich dann zu ihr vor. Er versuchte, über den Tisch hinweg ihre Hand zu ergreifen, doch sie zog beide Hände rasch zurück und legte sie unter dem Tisch auf den Schoß. Sie wollte nicht, dass er sie berührte. Er gab ein schnaubendes Lachen von sich und lehnte sich zurück.
»Dann geht es hier wohl nicht um ein nettes romantisches Dinner zu zweit?«
»Michael, ich …«
»Ich mag es nicht, wenn jemand, den ich liebe, mir nicht die Wahrheit sagt. Das macht mich wütend.«
»Ich hab versucht, dir …«
»Ich glaube, du verstehst mich nicht ganz, Ashley«, erklärte er ruhig. Ohne die Stimme zu erheben. Ohne jedes Anzeichen, dass sie über etwas Bedeutenderes als das Wetter sprachen. »Meinst du, ich hätte keine Gefühle?«
Er sagte das in einem ausdruckslosen, fast nüchternen Ton. Nein, ich glaube nicht, blitzte es ihr durch den Kopf, doch stattdessen sagte sie: »Hör zu, Michael, wieso machst du es uns eigentlich so schwer?«
Er lächelte wieder. »Ich finde es gar nicht schwer. Weil es nicht dazu kommen wird. Ich liebe dich, Ashley. Und du liebst mich. Du weißt es nur noch nicht. Aber du begreifst es schon noch.«
»Nein, Michael, das tue ich nicht«, erwiderte sie. Kaum war es ausgesprochen, wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie war zu direkt und hatte sich darauf eingelassen, über
Liebe
zu sprechen, wo es um ganz andere Dinge gehen sollte.
»Glaubst du nicht an Liebe auf den ersten Blick?«, fragte er in beinahe scherzendem Ton.
»Michael, bitte! Wieso kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
Er zögerte, und sie
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