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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Sie hatten nicht die geringste Ahnung, welcher Ruf Michael O’Connell vorauseilte, und sie wussten auch nicht, welchen Eindruck er auf Kollegen, Lehrer und was weiß ich wen machte. All die Dinge, die sie dazu gebracht hätten, eine andere Richtung einzuschlagen. Sie wussten lediglich, dass – wie drückte Ashley sich noch aus? – dass er ein Mistkerl war. Was für ein unschuldiges Wort.«
    »Trotzdem, mit ihm reden, ihm Geld anbieten – wie konnten sie auch nur einen Moment lang glauben, dass das funktioniert?«
    »Wieso nicht? Macht man das nicht so?«
    »Schon, aber …«
    »Im Nachhinein weiß man es immer besser. Wir glauben immer,wir wüssten eine Antwort, wenn wir in Wahrheit keine haben. Welche Alternativen hatten sie denn zu diesem Zeitpunkt?«
    »Na ja, sie hätten aggressiver vorgehen können …«
    »Das konnten sie doch nicht wissen!« Plötzlich erhob sie die Stimme und klang gereizt. Sie lehnte sich zu mir vor, und ich sah, wie sie wütend die Augen zusammenkniff. »Was ist eigentlich so schwer daran zu begreifen, dass die Kräfte der Verdrängung stark sind, und zwar bei jedem von uns? Wir
wollen
nicht an das Schlimmste glauben!«
    Sie schwieg, um tief Luft zu holen. Ich wollte etwas sagen, doch sie hob die Hand. »Sparen Sie sich bitte die lahmen Entschuldigungen«, stoppte sie mich. »Würden Sie nicht auch an die harmloseste Variante glauben wollen, während in Wahrheit die größte Gefahr direkt vor Ihrer Nase lauert?«
    Sie atmete noch einmal tief durch. »Mit Ausnahme von Hope. Sie sah es kommen. Zumindest ahnte sie etwas. Doch aus irgendeinem Grund tat sie das Dümmste, was sie machen konnte: sie schwieg. Vorerst jedenfalls …«

14
Dummheit
     
    Scott rutschte, eine Flasche Bier in der Hand, unruhig auf seinem Barhocker herum, während er versuchte, gleichzeitig die Eingangstür und Ashley, die in einer ruhigen Ecke saß, im Auge zu behalten. Sie sah immer wieder auf, schob das Besteck auf dem Tisch umher und trommelte nervös mit den Fingern auf die Holzplatte, während sie wartete.
    Er hatte mit ihr eingeübt, was sie sagen sollte, wenn sie Michael O’Connell anrief, und was sie machen sollte, wenn er kam. Scott hatte einen Umschlag mit fünftausend Dollar in Hunderterscheinen in der Tasche. Es war ein beachtliches Bündel, wenn man es auf eine Tischplatte knallte; er setzte darauf, dass dies eine größere Wirkung haben würde als die tatsächliche Summe. Bei dem Gedanken an das Geld merkte er, wie ihm der Schweiß unangenehm unter die Achseln trat. Doch vermutlich erging es ihm viel besser als seiner Tochter. Sie war innerlich vollkommen verkrampft. Dennoch vertraute er bei dem bevorstehenden Treffen auf ihr theatralisches Talent. Scott räusperte sich und nahm einen Schluck Bier. Er spannte unter seiner Sportjacke die Muskeln an und erinnerte sich zum zehnten Mal an diesem Tag daran, dass ein Mann, der bereit war, eine Frau zu tyrannisieren, angesichts eines körperlich ebenbürtigen Gegners, der älter und gewiefter war als er, höchstwahrscheinlich kneifen würde. Er hatte sein ganzesBerufsleben hindurch immer wieder mit Studenten vom Schlag eines Michael O’Connell zu tun gehabt, und er hatte eine ganze Reihe von ihnen erfolgreich eingeschüchtert. Er machte dem Barkeeper Zeichen, ihm noch ein Bier zu bringen.
    Ashley ihrerseits wurde vor Anspannung abwechselnd heiß und kalt.
    Als sie O’Connell auf dem Handy erreicht hatte, war sie auf der Hut gewesen und hatte sich an ein Drehbuch gehalten, das sie zusammen mit ihrem Vater auf der Rückfahrt nach Boston ausgearbeitet hatte. Nicht auf Konfrontationskurs, aber auch nicht entgegenkommend. Es ging lediglich darum, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, so dass, falls nötig, ihr Vater einschreiten konnte.
    »Michael, ich bin’s, Ashley …«
    »Wo warst du?«
    »Ich musste weg, ich hatte was zu erledigen.«
    »Was denn?«
    »Das, worüber wir reden müssen. Wieso bist du neulich nicht zum Museum gekommen?«
    »Der Treffpunkt hat mir nicht gefallen. Und ich wollte mir nicht anhören, was du mir zu sagen hattest. Ashley, ich glaube wirklich, dass es zwischen uns gut läuft …«
    »Wenn du das glaubst, dann lass uns heute Abend etwas zusammen essen. Dieselbe Bar, in der wir uns zu unserem ersten und letzten Date getroffen haben. Okay?«
    »Nur«, hatte er geantwortet, »nur, wenn du mir versprichst, dass es nicht darum geht, mir den Laufpass zu geben. Ich brauche dich, Ashley. Und du brauchst mich. Ich weiß es einfach.«
    Er

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