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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Neun-Millimeter-Automatik. Der Politiker verlässt sich auf das Gesetz. Aber mal ehrlich, was schützt uns wirklich?«
    »Darauf erwarten Sie doch wohl keine Antwort von mir?«
    Sie warf den Kopf zurück und lachte laut. »Nein«, sagte sie. »Keineswegs. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ashley natürlich genauso wenig.«

15
Drei Beschwerden
     
    Im Lauf der folgenden Tage bedrückte jeden von ihnen ein dumpfes Unbehagen, fast, als hinge eine dunkelgraue Wolke über ihrem Leben. Als Scott das Treffen mit Michael O’Connell noch einmal Revue passieren ließ, erschien es ihm einmal seltsam unkonkret verlaufen zu sein, dann wieder erstaunlich klar.
    Er erklärte Ashley, er wolle jeden Tag einmal kurz von ihr hören, nur um zu wissen, dass alles in Ordnung sei, und so machten sie es sich zur Gewohnheit, am frühen Abend zu telefonieren. Bei allem Unabhängigkeitsdrang hatte Ashley nicht widersprochen. Scott wusste nicht, dass Sally dieselbe Regelung mit ihr getroffen hatte.
    Sally ihrerseits stellte überraschend fest, dass in ihrem Leben nichts mehr wirklich in Ordnung war. Es kam ihr ein bisschen so vor, als hätten sich sämtliche Verankerungen gelockert, bis auf Ashley, und selbst die gab ihr wenig Halt. Die täglichen Anrufe bei ihrer Tochter dienten Sally, wie sie bald begriff, ebenso sehr dazu, selbst wieder Boden unter den Füßen zu bekommen wie sich zu versichern, dass bei Ashley alles in Ordnung war. Schließlich, so sagte sie sich, gehörte die Episode mit O’Connell einfach zu den Unannehmlichkeiten, mit denen alle jungen Leute früher oder später einmal konfrontiert sein können.
    Was Sally sehr viel mehr beunruhigte, war ihre wenig effiziente Arbeit in der Kanzlei und die wachsende Spannung zwischen ihr und Hope. Eindeutig stimmte etwas nicht zwischen ihnen, doch es gelang ihr nicht, in Ruhe darüber nachzudenken. Stattdessen stürzte sie sich in ihre diversen Fälle, verzettelte sich aber dabei, verrannte sich bei einem Fall in Details, während sie bei einem anderen große, dringende Probleme ignorierte.
    Hope hangelte sich einfach von einem Tag zum anderen und fragte sich, was eigentlich mit ihnen passierte. Sally hielt sie nicht auf dem Laufenden, Scott konnte sie nicht anrufen, und zum ersten Mal in all den Jahren, die sie mit Sally zusammen war, hatte sie das Gefühl, es sei unangebracht, ihrerseits Ashley anzurufen. Sie stürzte sich in dieser wichtigen Phase vor den Entscheidungsspielen in die Arbeit mit der Mannschaft sowie in ihre psychologische Beratungstätigkeit bei den unteren Semestern. Sie fühlte sich, als liefe sie barfuß über einen Scherbenhaufen.
    Als Hope eine dringende Nachricht vom Dekan erhielt, war sie überrascht. Wie er sie zu sich zitierte, hätte kaum knapper formuliert werden können: Kommen Sie um Punkt vierzehn Uhr in mein Büro.
    Als Hope den Campus durchquerte, um pünktlich zu ihrem Termin zu erscheinen, huschten ein paar dünne Wolken über den schiefergrauen Himmel. Es lag eine unangenehme vorwinterliche Kälte in der Luft. Das Büro des Dekans befand sich in einem viktorianisch inspirierten weißen Bauwerk mit breiten Massivholztüren und einem brennenden Kamin im Empfangsbereich. Kein Student verirrte sich hierher, es sei denn, er war in ernsten Schwierigkeiten.
    Sie schob die Tür auf, nickte einigen der Büroangestellten zu und ging die Treppe zum zweiten Stock hinauf. Ihr Vorgesetzterwar ein Veteran des Instituts, der immer noch einen Teil des Lateinunterrichts sowie einen Griechischkurs bestritt und die hehre altsprachliche Tradition hochhielt, die immer unpopulärer wurde.
    »Herr Dekan?«, sagte Hope und streckte den Kopf zur Tür hinein. »Sie wollten mich sprechen?«
    Während der ganzen Zeit, die sie schon am College tätig war, hatte sie, wenn es hoch kam, vielleicht ein Dutzend Mal wenige Worte mit Stephen Mitchell gewechselt. Sie hatten gemeinsam in ein paar Ausschüssen gesessen, und sie wusste, dass er sich mit Vergnügen ein Meisterschaftsspiel angesehen hatte, bei dem sie Trainerin gewesen war, auch wenn er im Allgemeinen der Fußballmannschaft der Jungen den Vorzug gab. Sie hatte ihn immer humorvoll gefunden, und er hatte sie an einen brummigen alten Grundschullehrer erinnert, eine Art Mr. Chips, der nicht zu Vorurteilen neigte, was sie an einem Menschen zu schätzen wusste. Wer sie so akzeptieren konnte, wie sie war, dem brachte sie ihre ganze Wertschätzung entgegen. Das gehörte nun einmal dazu, wenn man, wie man es hierzulande nannte, einen

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