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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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nicht davon sprechen, dass …«
    »Das reicht jetzt!«, polterte der Fürst.
    Der Kommissar lächelte und hielt den Mund. Er hatte einen streitbaren Charakter, doch so aufmüpfig benahm er sich nur, wenn er mit dem Gebieter des Herrscherhauses allein war.
    Seinerzeit hatte der Fürst Santiago als eine Art Alter Ego erdacht, auf das er alles abwälzte, was ihn daran gehindert hätte, ein vorbildlicher Herrscher zu werden: Unbeherrschtheit, übermäßige Aggressivität, Verschlagenheit und Niedertracht, den Hang zum Luxus und alle weltlichen, allzu profanen Neigungen. Auf diese Weise war Santiago zum Avatar des Fürsten geworden, zu seinem zweiten Ich. Doch niemand, nicht einmal die engsten Vertrauten des Herrschers, wussten davon. Ein paar hundert Jahre lang machte Santiago auch genau das, wozu er geschaffen worden war: Er lebte seine Laster aus, pflegte einen für einen Nawen ungewöhnlich luxuriösen Lebensstil, lieferte sich fortwährend Duelle, stürzte sich in Liebesaffären, und in der Verborgenen Stadt wunderte man sich rechtschaffen darüber, dass er bei alledem nie in Schwierigkeiten geriet. Doch mit der Zeit wurde Santiago dieses ausschweifende Treiben zu langweilig. Sein wacher Verstand verlangte nach subtileren Herausforderungen, und seine rastlose Seele dürstete nach Nervenkitzel. So kam es, dass der Avatar das Spielfeld der politischen Intrige für sich entdeckte. Einige Jahrzehnte später errang er den Posten des Kommissars, des militärischen Führers des Herrscherhauses, und nicht wenige vertraten die Ansicht, dass der Dunkle Hof nie einen besseren Kommissar gehabt habe. In der Verborgenen Stadt genoss er nicht weniger Respekt als der Fürst selbst, gefürchtet und gehasst wurde er indes mehr als jener.
    Der Gebieter des Dunklen Hofs war es überdrüssig, mit seinem Kommissar über beige Anzüge zu streiten, deshalb rutschte er missmutig auf seinem Stuhl hin und her und kam zur Sache: »Was wolltest du von mir?«
    »Jemand versucht, ein Traumarkan zu wirken«, verkündete Santiago ohne Umschweife und setzte sich bequemer auf die Tischkante.
    »Bist du sicher?«
    »Hundertprozentig. Ich habe einen zuverlässigen Informanten bei der Humo-Polizei. Er hat mir von sieben Ritualmorden in der Stadt berichtet und herausgefunden, dass auch weltweit Menschen nach demselben Strickmuster getötet wurden. Der Große Kreis ist bereits geschlossen: Es wurden zwölf Opfer getötet und mit Brandmalen gezeichnet. Von den neun Opfern des Kleinen Kreises fehlen nur noch zwei. Wir werden es nicht verhindern können, dass auch dieser Kreis sich schließt.«
    »Handelt es sich tatsächlich um ein Traumarkan ?«
    »Ja.«
    Das Wirken eines von den Herrscherhäusern verbotenen Zaubers stellte ein schweres Verbrechen dar. In Jahrtausenden des Lebens im Untergrund hatten die Bewohner der Verborgenen Stadt verinnerlicht, dass ihr Wohlergehen zuvörderst davon abhing, dass sie unerkannt blieben. Massenmorde an Angehörigen des die Erde beherrschenden Volks passten absolut nicht in dieses Sicherheitskonzept und stellten eine unmittelbare Bedrohung für die Verborgene Stadt dar.
    »Wer steckt dahinter?«
    »Genau weiß ich es nicht, aber man kann es sich zusammenreimen. «
    »Lass hören.«
    Der Kommissar fuhr sich durchs tadellos frisierte Haar.
    »Nur wenige Magier sind dazu in der Lage, ein Traumarkan zu wirken. Erstens benötigt man dazu nicht nur die Opfer, sondern auch unglaublich viel Energie, und die können nur wenige kontrollieren. Zweitens wird das Wissen über den Zauber streng unter Verschluss gehalten. Die Allgemeinheit hat keinen Zugriff darauf. Daraus lässt sich schließen, dass der fragliche Magier in seinem Herrscherhaus einen hohen Rang bekleidet.«
    »Du hast seinerzeit alles gelesen, was du wolltest, obwohl du von einem hohen Rang noch weit entfernt warst«, gab der Fürst zu bedenken.
    Santiago lächelte bescheiden. Während seiner Ausbildung hatte er nicht nur die gesamte Bibliothek des Dunklen Hofs durchforstet, sondern sich auch Zugang zu den Archiven der anderen Herrscherhäuser verschafft. Damit legte er schon damals den Grundstein für den glühenden Hass, den die meisten Bewohner der Verborgenen Stadt gegen ihn hegten.
    »Dabei ging es mir nur um Wissen«, rechtfertigte sich der Kommissar.
    »Offensichtlich ist jemand in deine Fußstapfen getreten. « Ein schwarzes Eichhörnchen sprang auf den Schoß des Fürsten und zupfte ihn ungeduldig am Ärmel. Der Herrscher des Hauses Naw reichte ihm eine

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