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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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Sie können doch kein Latein, nehme ich an?«
    »Leider nein«, gab Jana zu.
    »Das habe ich mir schon gedacht. Die menschliche Zivilisation wird an ihrer Bequemlichkeit zugrunde gehen und an der Unfähigkeit, sich weiterzuentwickeln. Denken Sie an meine Worte, ich weiß, wovon ich rede.« Der Schatyr kehrte Jana den Rücken zu und entfernte sich, doch Jana hörte noch lange sein Gemecker: »Das muss man sich einmal vorstellen: kann kein Latein, kein Altgriechisch, von Nawisch gar nicht zu reden! Alle können nur Russisch und verlassen sich auf den Dolmetscher . Natürlich verschwendet keiner einen Gedanken daran, was ein erstklassiger Dolmetscher mit guter Programmausstattung kostet. Hat je einer daran gedacht, wie viel der alte Genbek dafür hingeblättert hat? Natürlich nicht. Und auf die Idee, sich eine alte Sprache anzueignen, kommt sowieso keiner …«
    Die Schatyren waren beinahe so streitsüchtig wie geizig.
    Jana setzte sich an den Tisch, fuhr mit dem Finger über die goldene Prägeschrift auf den Bucheinbänden und setzte sich den Dolmetscher auf. Äußerlich ähnelte diese Vorrichtung einer gewöhnlichen Brille, doch wenn man sie aktivierte, konnte man damit jede einprogrammierte Sprache lesen – ein weiteres Beispiel für das fruchtbare Zusammenspiel zwischen menschlicher Technologie und der Magie der Verborgenen Stadt.
    Jana begutachtete die Titel der beiden Bände, die ihr Genbek bereitgelegt hatte.
    Morjanen. Anleitung zur Vernichtung . Eine Monografie des hochwohlgeborenen Ritters und Kriegskommandeurs Richard von Ferne. Herrscherhaus Tschud, 1824.
    Der praxisnahe Ansatz entsprach ganz dem geradlinigen, schnörkellosen Wesen der Ritter. Doch das Wissen, wie man ein Wandelwesen vorschriftsmäßig ins Jenseits befördert, brachte Jana nicht wirklich weiter. Deshalb legte sie das Werk des Tschuden beiseite und nahm das zweite Buch zur Hand.
    Analyse der genetischen Besonderheiten von Wandelwesen am Beispiel der Schwarzen Morjanen . Dissertation von Bruder Zirlus. Moskauer Eremitage, 1853. Die junge Frau überblätterte einige Seiten und begann aufs Geratewohl zu lesen: »… die pathohistologische Auswertung der am fünften August 1852 mittels Vakuumbiopsie entnommenen Gewebeproben mit der Nummer 19653 hat unter Berücksichtigung der unter Anleitung des Priors durchgeführten sorgfältigen Laboruntersuchungen eine vollständige Identität mit den durch Abrasion gewonnenen Bioptaten …«
    Wie die Schatyren gehörten die Erli-Mönche dem Dunklen Hof an, und wie Erstere waren sie nicht gerade für Großzügigkeit in monetären Dingen bekannt. Doch nicht weniger berüchtigt waren diese hochangesehenen Ärzte für den sagenhaften wissenschaftlichen Kauderwelsch, mit dem sie die medizinischen Laien der Verborgenen Stadt schier um den Verstand brachten. Das Gefasel von Bruder Zirlus konnte jedenfalls höchstens einer seiner Volksgenossen lesen.
    Wesentlich interessanter fand Jana das Buch, mit dessen Lektüre sie auf der Leiter begonnen hatte: Die Morjanen . Kurz und bündig. Es handelte sich um einen geheimen Bericht, den ein von Santiago geleitetes Magierteam für den Führungsstab des Dunklen Hofs verfasste, kurz nachdem die Wandelwesen aufgetaucht waren. Neben anatomischen Studien über Schwarze und Weiße Morjanen, einer Bewertung ihrer Gefährlichkeit und Instruktionen zu ihrer Bekämpfung enthielt der Bericht außerdem aus den Archiven des Grünen Hofs gestohlene Informationen über den Ursprung der Wandelwesen. Den Kern der brisanten Unterlagen bildete das Protokoll eines Verhörs der Fee Zemfira, der engsten Mitarbeiterin der Fate Mara, die als Schöpferin der Morjanen galt. Das Protokoll hatten die Nawen der Königin des Grünen Hofs buchstäblich unter dem Hintern weggeklaut. Jedenfalls enthielt der Bericht von Santiagos Team erschöpfende Informationen über die neugeschaffenen Lebewesen und war noch dazu in einer allgemein verständlichen Sprache abgefasst.
    Jana hatte den größten Teil des Buches bereits durchgesehen, als die verschlafene Stille in der Buchhandlung vom Klingeln ihres Telefons gestört wurde. Sie legte das Buch beiseite und nahm das Handy aus ihrer Handtasche.
    »Hallo?«
    »Hallo, Jana, hier ist Cortes.« Die Stimme des Söldners klang ruhig. »Artjom ist schon wieder von einer Morjane angegriffen worden. Er bringt Olga jetzt zu sich nach Hause.«
    »Zum Zeitpunkt des Angriffs waren sie also noch in Olgas Wohnung?«, erkundigte sich die junge Frau.
    »Ja.«
    »Hat er die

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