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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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feindselig und bedrohlich. Kein Geräusch, kein Rascheln, nichts durchbrach diese Stille, trotzdem wachte Edik auf und öffnete die Augen. Er spürte die Gefahr.
    Obwohl es im Schlafzimmer stockdunkel war, erkannte oder, besser gesagt, erahnte Edik die Gestalt, die in der Mitte des Raumes stand. Eine hoch aufgeschossene, hagere Männergestalt. Der Ankömmling bewegte sich nicht, schien nicht einmal zu atmen. Er stand einfach nur da und beobachtete ihn. Die Konturen der Gestalt konnte Edik nicht ausmachen, doch er fühlte körperlich ihre Anwesenheit und empfand zum ersten und letzten Mal im Leben richtige Angst. Dass er zu einem solchen Gefühl überhaupt imstande war, überraschte ihn – was hatte er nicht schon alles erlebt! Sein Kinn begann zu zittern, über seinen Rücken liefen kalte Schauer, und sein Herz schlug bis zum Hals.
    Edik versuchte, sich schlafend zu stellen, doch es gelang ihm nicht. Sein stockender Atem und das Klappern seiner Zähne verrieten dem Fremden, dass er bemerkt worden war.
    »Ich bin nicht gekommen, um Sie zu töten.« Die Stimme kam aus der Mitte des Zimmers, wo sich die hoch aufgeschossene Gestalt befand. »Beruhigen Sie sich und hören Sie auf zu zittern.«
    Der Bariton des nächtlichen Gastes wirkte ruhig und sachlich.
    »Wer bist du?«, flüsterte Edik.
    »Ich werde Sie nicht lange stören.« Die Stimme war plötzlich ganz nahe. Der Fremde stand unmittelbar neben dem Bett, obwohl Edik sein Näherkommen weder gesehen noch gehört hatte. »Sie sind wach?«
    »Ja.«
    »Ausgezeichnet.«
    Edik versuchte, sich aufzusetzen.
    »Bitte bewegen Sie sich nicht.«
    Edik spürte etwas Schweres, das seinen Oberkörper niederdrückte. Im nächsten Augenblick realisierte er, dass ihm der Fremde einfach den Schuh auf die Brust gesetzt hatte.
    »Was soll …« Edik bekam keine Luft mehr und begann zu husten. »Nimm den Fuß …«
    »Sie haben vor kurzem mit Jegor Bessjajew zusammengearbeitet. « Die Stimme des Fremden blieb unverändert ruhig. Es schien ihn nicht im Geringsten anzustrengen, dass er Edik mit brutaler Gewalt gegen das Bett presste. »Jegor Bessjajew. Erinnern Sie sich?«
    Und ob er sich an den erinnerte! Der junge Hacker hatte die Deutsche Bank in Ediks Auftrag um zweihundert Millionen erleichtert und war ins Ausland getürmt, als ihm die Polizei auf die Schliche kam. Bessjajew hätte ein gefährlicher Zeuge werden können, deshalb hatte Edik den Auftrag erteilt, ihn zu beseitigen.
    »Erinnern Sie sich an Jegor?«
    Mit der brachialen Kraft einer Hydraulikpresse drückte der Schuh des Fremden gegen seinen Brustkorb, und die Schuhspitze bohrte sich in seine Kehle. Edik spürte, wie der Lattenrost sich durchbog, und dann krachten die ersten Rippen.
    »Ich erinnere mich«, krächzte er verzweifelt.
    »Jegor Bessjajew wird nicht mehr für Sie arbeiten. Er hat jetzt einen neuen Job, und Sie werden ihn schön in Ruhe lassen.« Der Tonfall des Eindringlings blieb verbindlich und unaufgeregt. »Ich darf doch auf Ihr Entgegenkommen rechnen?«
    Edik wusste, dass ihn eine abschlägige Antwort das Leben kosten würde. Dieser brutale Kerl, den er in der Finsternis kaum ausmachen konnte, war in der Lage, ihn einfach zu zerquetschen und mitsamt dem Bett in den Boden zu treten.
    »Bessjajew …« Edik konnte kaum atmen, geschweige denn sprechen. »Bessjajew kann ruhig schlafen«, presste er tonlos hervor.
    »Dann ist es ja gut. Ich wusste, dass wir uns verstehen würden.«
    Der Fremde nahm den Fuß weg und verschwand.
    Nach wie vor konnte Edik im stockdunklen Schlafzimmer nichts sehen, doch er spürte, dass er nun wieder allein war. Nur ein heftiges Stechen in der Brust erinnerte noch an den ungebetenen Gast. Er blieb einige Minuten benommen liegen, dann wälzte er sich unter höllischen Schmerzen aus dem Bett und schaltete das Licht ein. Es war niemand da.
    Der Vorfall lag bereits vier oder fünf Jahre zurück. Oder sogar noch länger? Edik hatte diese unerfreuliche Episode in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses verdrängt, doch wenn, dann dachte er mit Schrecken daran zurück. Am nächsten Morgen befragte er damals ausführlich die Wachen und überprüfte höchstpersönlich Alarmanlage und Videokameras, doch das Sicherheitspersonal behauptete, nichts bemerkt zu haben, und der Eindringling hatte nicht die geringsten Spuren hinterlassen. Das Ganze war wie ein Albtraum, doch der blutunterlaufene, schuhsohlenförmige Fleck auf der Brust ließ keinen Zweifel daran, dass die unheimliche Begegnung

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