Das Orakel des Todes
längst nicht so chaotisch wie Rom, aber es war auch nicht in der strengen Form eines Gitters angelegt wie Alexandria.
„Eins wissen wir jetzt jedenfalls mit Sicherheit: Die Stimme des Orakels ist falsch.“ Julia schien bitter enttäuscht, wohingegen mich diese Erkenntnis nicht im Geringsten überraschte. Aber Julia liebte nun einmal Orakel, Propheten, Auguren und Haruspices.
„Zumindest wissen wir, dass das Orakel vor zehn Jahren betrügerische Prophezeiungen abgegeben hat, vorausgesetzt natürlich, die Frau hat die Wahrheit gesagt. Was mich gewundert hat, war, dass sie von >Priestern< gesprochen hat. Ich hätte noch einmal nachhaken sollen. Aber vielleicht diente dem Orakel damals eine komplett andere Priesterschaft. Das müssen wir herausfinden.“
„Vielleicht kann Cordus uns weiterhelfen oder weiß zumindest, wie man es herausfinden kann.“
„Ich schicke ihm sofort einen Brief“, sagte ich und war erleichtert, dass Julias Wut ihrem Aufklärungsdrang gewichen war. Sie hatte ein Faible für Philosophie und betrachtete derartige Ermittlungen als philosophische Rätsel. Ich hingegen ging anders damit um, denn ich wusste, dass bei kriminellen Machenschaften immer menschliche Leidenschaften und Schwächen im Spiel sind. Außerdem verließ ich mich bei meinen Nachforschungen mindestens ebenso sehr auf meinen Instinkt und meine Intuition wie auf strenge Logik. Gemeinsam schafften wir es normalerweise, jedes Problem zu lösen, außer natürlich, ihr Onkel war irgendwie in die Sache verwickelt.
Am Abend unterhielt uns Sabinilla mit einem bunten Programm. Sie trug zur Abwechslung eine Aufsehen erregende Silberperücke, was mich dazu brachte, fast wie ein Besessener darüber nachzugrübeln, wie wohl ihr echtes Haar aussehen mochte. Denn es ist eine meiner zahlreichen Schwächen, verborgene Dinge ans Tageslicht zu bringen und gut gehütete Geheimnisse zu lüften, auch wenn es sich nur um solche Nichtigkeiten handelt. Sabinilla machte mit uns einen Rundgang durch ihre eigenartige Villa, bei deren Bau der Beschaffenheit des steilen, steinigen Geländes Rechnung getragen worden war und die sich daher über mehrere Ebenen erstreckte. Wir stiegen immer wieder Treppen hinauf und hinunter und besichtigten eigenartig geformte Speisesäle, Empfangsbereiche, Kolonnaden und Innenhöfe. Sämtliche Wände waren mit prachtvollen Fresken verziert und nicht, wie damals üblich, schwarz gestrichen und spärlich mit irgendwelchen Fantasiepflanzen und spindeldünnen Säulen dekoriert, ein Stil, den ich als zutiefst deprimierend empfand. Die Fresken waren farbenfrohe Darstellungen des Treibens der Götter und Göttinen, Helden und Halbgötter, Nymphen und Satyrn, Faunen und verschiedener Waldgötter. Die Campaner lieben Farben, genau wie ich. Alle Böden waren mit Mosaiken ausgelegt, die meisten zeigten lebhafte Darstellungen diverser Meeresmotive. Zu meiner Verwunderung waren sogar die Decken bemalt, an denen sich zwischen den Wolken olympische Götter vergnügten; in einem der überwältigenden Räume war der Boden mit nachtblühenden Pflanzen ornamentiert, auf der darüberliegenden Decke jagten Diana und ihr Gefolge am Nachthimmel Sternbilder. Julia entschied sofort, dass auch wir unsere Decken bemalen lassen müssten.
Zu unser aller Erstaunen zeigte Sabinilla uns schließlich auch noch ihre eigene Gladiatorentruppe. Dass wohlhabende Campaner sich private Gladiatoren leisten, ist an sich nichts Ungewöhnliches, aber sie halten sie selten in ihren eigenen Häusern. Normalerweise befinden sich die Gladiatorenschulen auf dem Land, in sicherer Entfernung der Städte. Sabinilla hatte eine Baracke für zwanzig Gladiatoren und einen ovalen Übungsplatz, der von einer niedrigen Steinmauer mit Sitzplätzen umgeben war. Zu unserer Belustigung ließ sie ihre Gladiatoren vortreten, sie ihre jeweiligen Disziplinen vorführen und mit den hölzernen Übungsschwertern Schaukämpfe austragen. Sie kämpften beinahe nackt, bekleidet nur mit Bronzegurten und dem kurzen, in Campania bei den Gladiatoren üblichen Subligaculum. Damit ihre Haut im Schein der Fackeln schön glänzte, waren sie von Kopf bis Fuß eingeölt. Sie waren ausnahmslos Gallier, was kein Wunder war. Caesars Kriege hatten den Markt mit billigen gallischen Sklaven überschwemmt, von denen viele gefährliche Krieger waren und daher für eine Verwendung im Haushalt nicht in Frage kamen. Sie waren in der Art ihres Herkunftslandes bewaffnet, mit einem langen, schmalen Schild und einem
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