Das Orakel des Todes
gern, dass unsere Sklaven uns mögen, aber in Wahrheit ist das nur selten der Fall.
„Dich trifft keine Schuld. Wie hättest du ahnen sollen, dass dein Herr aufgrund einer arglosen Unterhaltung zum Opfer einer Räuberbande wird? Du hast doch keine Geheimnisse preisgegeben. Kein Gericht würde dich wegen einer Mitschuld verantwortlich machen.“
„Ich habe immer noch furchtbare Gewissensbisse.“ „Das musst du nicht, Floria, aber du musst mir noch etwas anderes verraten.“
„Alles, was ich weiß, habe ich dir erzählt.“
„Wofür ich dir sehr dankbar bin. Du bist mir bei meinen Ermittlungen eine große Hilfe gewesen. Aber als du mich vorhin hier hereingewinkt hast, wirktest du sehr verängstigt. Um nicht zu sagen total verschreckt. Warum?“
Sie schwieg einen Moment und verschränkte die Arme vor ihrer Brust, als ob sie trotz des warmen Nachmittags fröre. „Neuigkeiten verbreiten sich schnell, Praetor. Niemand sagt es offen, aber wenn ich zum Markt gehe oder hinunter zum Brunnen an der Ecke, um Wasser zu holen und ein bisschen zu plaudern, höre ich immer das Gleiche:
dass sich jeder hüten möge, diesem römischen Praetor bei der Aufklärung der Tempelmorde zu helfen. Alle scheinen Bescheid zu wissen und sagen das Gleiche: Es sei eine rein lokale Angelegenheit, weshalb kein Anlass bestehe, jemanden aus Rom hinzuzuziehen. Falls man etwas wisse, sei es besser, den Mund zu halten, dann hätte man später auch nichts zu bereuen.“
„Vielleicht wäre es gut, wenn ich in nächster Zeit für deinen Schutz sorgen würde.“
„Das ist nicht nötig. In ein paar Tagen hat sich diese Geschichte erledigt, auf welche Weise auch immer, und du bist wieder weg, Praetor. Ich hingegen muss den Rest meines Lebens hier verbringen. Ich kenne keinen anderen Ort und habe keine Lust, irgendwo anders noch einmal von vorne anzufangen, womöglich in einer Stadt wie Rom.“
„In Ordnung. Aber wenn du dich in irgendeiner Weise bedroht fühlst, musst du sofort zu mir kommen.“
„Das werde ich tun, Praetor. Und jetzt solltest du besser gehen.“ Sie ging zur Tür und öffnete sie gerade so weit, dass sie ihren Kopf durch den Spalt stecken konnte. Sie versicherte sich, dass die Luft rein war, und bedeutete mir zu gehen. Ich folgte ihrer Aufforderung, den Dolch erneut griffbereit, doch die Gasse war menschenleer.
Auf dem Weg zum Stadttor, wo mein Pferd auf mich wartete, dachte ich über das Gehörte nach. Mein erster Gedanke war natürlich, ob ich überrumpelt und getäuscht worden war. Hatte womöglich jemand diese Floria auf mich angesetzt? Immerhin war es kein Geheimnis, dass ich an diesem Tag in Stabiae sein würde, doch niemand konnte gewusst haben, dass ich aus einer Laune heraus allein durch die Stadt streifen würde. Ich war nur zufällig in diese Gasse geraten, weil ich die Stadt nicht kannte und sie mir auf meiner Suche nach dem Forum und dem Tor genauso gut oder schlecht erschien wie jede andere. So sehr ich mir auch das Hirn zermarterte, ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie gezielt auf mich angesetzt gewesen sein könnte.
Ansonsten klang ihre Geschichte durchaus plausibel. Dass ein ausländischer Kult als Tarnung für eine Räuberbande herhielt, war an sich nicht übermäßig schockierend. Nur dass sie so lange, offenbar mindestens zehn Jahre, im Verborgenen ihr Unwesen hatten treiben können, ohne aufzufliegen, wunderte mich. Andererseits war der ermordete Lucius Terentius auf eine Weise beseitigt worden, die den Verdacht niemals auf das Orakel gelenkt hätte. Auf See verschwinden ständig Menschen, selbst bei gutem Wetter sind es Hunderte pro Jahr. Außerdem müssen sie ja nicht alle Bittsteller ausgeraubt haben, sondern nur diejenigen, die einträgliche Beute versprachen und derer man sich weit weg gefahrlos entledigen konnte.
Doch all dies verriet mir nichts über die Ermordung der Apollopriester. Ich konnte beim besten Willen keine Verbindung zu einem zehn Jahre zurückliegenden Mord sehen, und die Umstände ihres Todes stellten auch keinen erkennbaren Zusammenhang her. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass die Frau von gänzlich anderen Motiven geleitet war. Vielleicht hegte sie einen persönlichen Groll gegen den Hekatekult und beabsichtigte, ihn mir gegenüber in ein schlechtes Licht zu stellen, wobei ich in dieser Richtung wahrlich keines weiteren Anstoßes bedurfte.
Am öffentlichen Stall neben dem Stadttor nahm ich mein Pferd in Empfang und schwang mich auf seinen Rücken. Die Wache am Tor
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