Das Orakel von Antara
Hört ihr, ihr Antaren? Euer Führer will euch ein Monster zur Königin geben, ein Wesen, das mir dem Nebel fliegt und sich in ihm auflöst, das sich vom Dunst des Morgens nährt - und das in eure Gedanken kriechen kann, wenn ihr es lasst. Ein Ungeheuer, das ...“
„Vanea!“ Yorn riss sie in die Arme und verschloss ihren Mund mit einem Kuss.
Hemmungslos schluc hzend krallte sie sich an ihm fest. „Oh, Yorn!“ weinte sie. „Du darfst nicht gehen! Lass’ mich nicht allein. Du bist der einzige, der mir noch bleibt von allen, die ich liebe. Erst fiel Kandon, Reven ist vielleicht auch tot, und du - du willst nun auch in dein Verderben rennen. Wenn auch du noch getötet wirst, was soll ich dann noch in eurer Welt? Du weißt, ich kann nie mehr zurück in mein Reich. Doch ohne dich bin ich hier eine Fremde, die niemand versteht und die den Menschen unheimlich bleiben wird. Man wird mich zuerst fürchten und dann hassen, weil ich anders bin. Und dann werde ich enden wie meine Großmutter, die man umbrachte, weil man sie für einen Dämonen hielt.
Dann will ich lieber gleich hier sterben. Das erspart mir den Schmerz und das Leid zu sp üren, wie man dich tötet. Denn dein Tod wird sein, als stürbe ich selbst, denn wir sind zu tief miteinander verbunden. Denn ich weiß, wenn du gehst, werde ich meine Gedanken nicht von den deinen lösen. Ich werde erleben, was du erlebst, doch hilflos und ohnmächtig. Und wenn ... und wenn du stirbst, wird unser Band zerrissen werden. Ich weiß nicht, was dann mit mir geschieht, aber ich weiß, dass es furchtbar sein wird. Yorn, bitte, bitte geh nicht! Ich habe Angst!“
„Vanea! Vanea, weine doch nicht!“ Yorn wiegte sie sanft in den Armen. „Hab keine Furcht, Liebling, mir wird nichts geschehen. Saadh wird auch weiterhin seine Hand schützend über mich halten.
Aber versteh doch, ich muss gehen! Saadh hat mir Reven von Anfang an für unseren Kampf an die Seite gestellt, und der Kampf ist noch nicht zu Ende. Reven ist mein Bruder, und du weißt, wie sehr ich ihn liebe. Ich muss ganz einfach gehen, jetzt erst recht, um zu erfahren, was mit ihm geschah. Ich kann ihn doch nicht krank und elend in den Händen der Feinde lassen. Das kannst du doch nicht wollen, Vanea. Du liebst Reven doch auch. Und wenn er tot ist, so habe ich wenigstens Gewissheit. Sonst würde die ständige Sorge um ihn mich in meinen Entscheidungen lähmen. Außerdem wäre ich erpressbar, wenn Xero herausbekäme, wer Reven ist.
Verstehst du das, Vanea? Glaube mir, du wirst in unserem Volk nie eine Fremde sein, denn viele der Unseren wissen schon, was du für uns geopfert hast, we lchen Preis du für die Freiheit der Antaren zahltest. Und nicht nur Kandon, Reven und mich hast du zu Freunden gewonnen, sondern schon viele andere. Denke an Nith, der dich hoch in Ehren hält, und an Schorangar hier. Erinnere dich an Finia, die dir ihr Vertrauen schenkte. Der junge Tamin bewundert dich bereits wie eine Göttin. Niemand sieht in dir ein Monster, wie du uns glauben machen wolltest. Selbst wenn ich falle, wird deine Heimat Antara sein, und unser Volk wird dich lieben und verehren.
Begleite mich mit deinen Gedanken ruhig auf meinem Weg . Es wird mir helfen, dich bei mir zu wissen, und mich ruhiger und besonnener machen. Du wirst mir die Kraft geben, nicht zu versagen, falls ich das Schlimmste erfahren muss. Sei dann meine Stütze, wie du mir hilfst, den Verlust von Kandon zu tragen. Führe mich, Vanea, dann kehre ich heil zurück!“
Unter seinem sanften Zuspruch hatte Vanea sich beruhigt. Nun löste sie sich aus seinen Armen und trocknete ihre Tränen.
„Verzeih mir, Yorn!“ sagte sie gepresst. „Ich weiß, ich war egoistisch. Natürlich musst du versuchen, Reven zu retten, selbst auf die Gefahr hin, dass du zu spät kommst. Ich selbst würde mir nie vergeben, wenn es mir gelungen wäre, dich zurückzuhalten, falls sich herausstellt, dass Reven doch gerettet werden kann. Trotzdem bange ich um dich.“ Sie ergriff seine Hand. „Sei auf der Hut, Geliebter, und begib dich nicht unnötig in Gefahr. Versprich mir das!“
„Ich komme zu dir zurück, Vanea“, sagte Yorn weich, „zu dir und zu unserem Volk. Jetzt aber lass’ mich gehen, denn ich muss mein Werk vollbracht haben, wenn es dunkel geworden ist. Sonst wird die Gefahr zu groß, und ich kann noch nicht absehen, wann es mir gelingt, einen günstigen Augenblick für mein Eindringen ins Schloss zu finden.“
Noch einmal zog er Vanea in
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