Das Orakel von Antara
wieder in die Dunkelheit hinaus. Sabrete war in ihrem Sessel schon fast am Schlafen, aber plötzlich setzte sie sich wieder auf.
„Oh!“ sagte sie erschrocken. „Das hätte ich fast vergessen, weil ich so müde bin! Der Arzt bei Schorangar hat mir doch Medizin für dich mitgegeben und mir eingeschärft, dass du sie unbedingt noch nehmen sollst, bevor du dich niederlegst. Hier!“ sie zog eine Flasche aus dem umgehängten Beutel und reichte sie Reven. „Nimm einen kräftigen Schluck! Und morgen, wenn du wach wirst, noch einmal. Und dann alle paar Stunden, bis die Flasche leer ist. Dann wirst du dich in wenigen Tage wieder wohl fühlen.“
„Kleine Prinzessin!“ Reven lächelte sanft. „Ich fühle mich schon wohl, wenn ich dich nur ansehe“, flüsterte er ihr zu. „Ich kann es noch gar nicht fassen, dass du wirklich bei mir bist. Und ich konnte dir noch nicht einmal richtig danken für alles, was du für mich getan hast. Aber ich verspreche dir, dass ich dir all meine Liebe dafür schenken werde, wenn du sie haben möchtest.“
Sabrete ergriff seine Hand und zog sie an ihre Wange. „Natürlich will ich sie haben!“ sagte sie leise. „Wäre ich sonst mit dir gekommen, obwohl ich zuerst befürchtete, dass du mich nur benutzt?“
Reven wollte antworten, doch da trat der Arzt ein und hinter ihm ein antarisches Mädchen, dass ein Tablett trug. Trotz seines - immerhin recht schwachen - Protestes wurde Reven von dem Arzt nochmals gründlich untersucht und seine Wunden frisch verbunden.
„Du bist nun einmal hier in meine Obhut gegeben“, hatte der Arzt kategorisch erklärt, „und somit muss ich mir ein Bild über deinen Zustand machen. Da du für uns alle - und besonders für deinen Bruder Yorn - sehr wichtig bist, musst du schnell wieder auf den Beinen sein. Aber ich sehe, dass deine Wunden gut heilen und du wahrscheinlich in drei bis vier Tagen wieder einsatzfähig sein wirst.“
Reven und Sabrete waren froh, als sie nach einer kurzen Mahlzeit von dem freundlichen jungen Mädchen in ein winziges Zimmer geführt wurden, in dem ein breites Bett stand.
„Leider haben wir keine andere Schlafmöglichkeit für euch“, sagte sie bedauernd. „Hier sind viele Menschen, die untergebracht werden müssen, und täglich kommen neue. Dies ist das Zimmer von Merian, der es euch gern abtritt. Und nun schlaft gut!“
Während Reven schon ins Zimmer ging, stand Sabrete mit blutübergossenem Gesicht in der Tür.
„Was ist?“ fragte Reven. „Komm herein! Du musst doch todmüde sein.“ Dann sah er Sabretes Gesicht, und ein feines Lächeln spielte um seine Lippen. „Komm nur, meine kleine Prinzessin!“ sagte er sanft. „Du wirst ruhig und ungestört schlafen, das verspreche ich dir. Selbst wenn ich gesund wäre, würde dir nichts geschehen, was du nicht selbst wolltest.
Aber im Augenblick kann ich nicht einmal so ritterlich sein und dir das Bett allein überla ssen. Ich fühle mich nicht gut genug, um auf dem Fußboden zu schlafen.“
Er ergriff ihre Hand und geleitete sie zu dem Bett. Sabrete war bei seinen Worten noch verlegener geworden, denn nun schämte sie sich ihrer Gedanken.
„Ich ... ich ... ich habe nur noch nie mit jemand anderen in einem Bett gelegen, außer als kleines Mädchen mit Clia, wenn ich schlecht geträumt hatte“, versuchte sie eine Entschuldigung.
„Nun, meine kleine Prinzessin, daran wirst du dich aber wohl eines Tages gewöhnen müssen“, lächelte Reven und zog sie, auf dem Bett sitzend, in die Arme. „Ich hoffe nicht, dass ich als dein Mann in einem anderen Zimmer schlafen muss - das heißt, wenn du überhaupt einen armen Bauernsohn als deinen Mann akzeptieren kannst!“
Reven war ernst geworden. Erst in diesem Augenblick wurde ihm bewußt, dass Sabrete ja von ihrer Geburt weit über ihm stand. Er hatte sich in sie verliebt und ihre Gegenliebe gespürt, und alles andere war durch die Verwirrungen völlig untergegangen. Nun erst kam ihm der Standesunterschied zwischen ihnen beiden voll zu Bewusstsein.
„Was redest du nur?“ fragte Sabrete und schmiegte sich an ihn. „Glaubst du im Ernst, ich würde irgendeinen Fürstensohn dir vorziehen? Ich sah, wie du kämpftest und ich sah deinen tapferen Sinn, als du meinem Vater gegenüberstandst. Ich sah deinen Edelmut und deine Treue. Und ich gewahre die Sanftmut in deinen Augen und deinen geraden, ehrlichen Blick. Es gibt einen Adel des Charakters, den keine noch so hohe Geburt
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