Das Orakel von Antara
Stundenlang lagen die Gefährten wach, von einer wachsenden Unruhe ergriffen.
Plötzlich stürzte Vanea aus dem Nebel. In den Händen trug sie einen kleinen Kasten. Die Männer fuhren hoch.
„Rasch!“ keuchte das Mädchen. „Spannt die Wölfe ein! Wir müssen fliehen. M'Nor wird bald entdecken, dass ich das Heiligtum verlassen habe, und dann wird er uns verfolgen.“
„Um Saadhs Willen!“ rief Yorn. „Was ist denn geschehen?“
„Später, später!“ stieß Vanea hervor. „Tut, was ich euch sage, sonst sind wir alle des Todes!“
Im Nu hatten die Männer die verschlafenen Wölfe in die Geschirre gespannt. Zuerst wollten die großen Tiere sich das nicht gefallen lassen, da sie im Schlaf gestört wurden. Doch einige harte Worte Vaneas und ihre ausgestreckte Hand, von der ein merkwürdiges Glimmen ausging, brachten die Tiere sofort zur Ruhe. Die Freunde hatten keine Zeit, sich über dieses Geschehen zu verwundern, denn Vanea trieb sie unaufhörlich an.
Wenige Minuten später jagten die vier Gespanne bereits über den Schnee nach Süden.
Während Vanea die Wölfe a ntrieb, als seien alle Dämonen hinter ihr her, rief sie Yorn, der neben ihr fuhr, zu: „Ich habe ein Stück des Wasserfalls gestohlen. Die Göttin zürnte mir, weil ich ihn euch zeigte, und gebot mir, euch als Sühne dafür mit eigener Hand zu töten. Das aber konnte ich nicht tun, denn schließlich trifft euch keine Schuld, denn ich war es ja, die euch hierher führte. Doch ich wusste genau, folgte ich dem Befehl der Göttin nicht, so waren wir alle verloren. Denn zuerst hätte Naminda mich getötet, und dann wäret ihr von M'Nor umgebracht worden. Also beschloss ich zu fliehen. Ich schlich heimlich zum Wasserfall und brach ein Stück des heiligen Eises ab. Noch wird Naminda es nicht bemerkt haben, denn sie hat sich zornig zurückgezogen. Wenn aber die Sonne aufgeht und sie sich am Wasserfall ihren Erinnerungen hingibt, wird sie den Frevel entdecken. Dann müssen wir weit von hier fort sein, denn ihre Wut ist fürchterlich. Doch eher noch als Naminda wird M'Nor unsere Flucht entdecken. Zwar weiß er nicht, dass ich das Heiligtum schändete, aber er wird glauben, dass ihr mich überredet habt, mit euch zu kommen. M'Nor ist schnell wie der Schneesturm, und ich glaube nicht, dass wir ihm entkommen können. Darum höre mir genau zu, Yorn: Wenn M'Nor kommt, werde ich mich ihm entgegenstellen. Kümmert euch nicht um mich, sondern flieht in höchster Eile weiter, bis ihr die Grenzen des Nebelreiches passiert habt. Erst dort seid ihr sicher, denn falls M'Nor mich besiegt, werden seine Wut und sein Hass Namindas gleichkommen. Also seht euch nicht um, sondern treibt die Wölfe an! Versucht nicht, mir beizustehen, denn M'Nors Kräften hättet ihr nichts entgegenzusetzen. Wollt ihr mir versprechen, meinem Wort zu folgen? Ich will nicht, dass meine schändliche Tat auch noch vergebens war. Hier, nimm!“ Sie streckte dem dicht neben ihr dahinjagenden Yorn den Kasten entgegen. Yorn griff zu, doch fast wäre er seiner Hand entglitten, denn der Behälter bestand aus mit Edelsteinen verziertem Eis. Nur die Kanten der Steine hatten verhindert, dass der Kasten ihm aus der Hand rutschte. Rasch legte Yorn das kostbare Geschenk vor sich in den Schlitten. Unaufhaltsam ging die rasende Fahrt weiter.
Schon waren sie einige Stunden dahingeflogen, als Vanea Yorn zurief: „Ihr müsst euch jetzt dicht hinter mir halten. Wir kommen jetzt in das Gebiet, wo die heißen Quellen und die Schlammsümpfe überall den Boden bedecken. Ich kenne den Weg hindurch, doch ihr würdet sie im Nebel erst sehen, wenn es zu spät ist. Darum achtet darauf, dass ihr genau in meiner Spur bleibt.“
Sofort hielt Yorn sein Gespann ein wenig zurück und reihte sich hinter Vanea ein. Reven und Kandon folgten seinem Beispiel. Doch nun ging es etwas langsamer voran, denn auch Vanea hatte Mühe, den gefährlichen Stellen rechtzeitig auszuweichen. Doch nach zwei weiteren Stunden hatten sie das gefährliche Stück Weg hinter sich gebracht.
„Gleich geht es wieder schneller“, sagte Vanea, während sie etwas langsamer fuhr. „Wenn ich euch verlassen muss, haltet euch stets in gerader Richtung nach Süden. Dann werdet ihr etwa dort auskommen, wo ihr unser Land betreten habt. Wenn M'Nor kommt, denkt an das, was ich euch gebot! Flieht so weit, dass ihr die Nebel nur noch von fern sehen könnt. Dort wartet drei Stunden auf mich. Bin ich dann noch nicht bei euch, so
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