Das Orakel von Antara
können.“
Auch am nächsten Tag hielten sie sich soweit es ging fern von den Ansiedlungen. Gegen Nachmittag jedoch zogen von Westen her dunkle Wolken herein, und über dem Horizont flammten die ersten Blitze eines nahenden Unwetters auf. Besorgt schaute Yorn zu den schwarzen Wolkentürmen auf, die rasch herantrieben.
„Es wird höchste Zeit, dass wir einen Unterschlupf finden!“ rief er den anderen zu. „Hier im freien Feld sind wir dem Unwetter schutzlos ausgesetzt. Es scheint Saadhs Wille zu sein, dass wir jetzt die Begegnung mit den Moradonen suchen. Seine Blitze sind der beste Fingerzeig.“
Er trieb sein Pferd an. Die Gefährten folgten. Im Galopp flogen sie über das flache Land, während von ihrer rechten Seite die Gewitterfront immer näher rückte. Ein heftiger Wind trieb ihnen Staub, Blätter und abgerissene Zweige um die Ohren, und schon klatschten auch die ersten dicken Tropfen nieder. Dann war das Wetter mit einmal über ihnen. Im Nu herrschte Dunkelheit wie in der finstersten Nacht, doch der schwarze Vorhang des niederstürzenden Regens wurde immer wieder von gleißenden Blitzen zerrissen. Der Wind war zum Sturm geworden, und sein Heulen wurde nur von den krachenden Donnern übertönt, die nun immer rascher aufeinander folgten, bis sie fast zu einem einzigen Crescendo verschmolzen.
Durchnässt bis auf die Haut kämpften sich die Gefährten durch das Toben der Naturg ewalten. An Reiten war nicht mehr zu denken, denn die verängstigten Pferde waren kaum noch zu bändigen. So mussten sie die Tiere am Zügel mehr neben sich herziehen als führen, doch so boten die Pferdeleiber ein wenig Schutz vor dem peitschenden Sturm. Mühsam stolperten sie vorwärts und versuchten, im Schein der Blitze einen Ort zu finden, der ihnen einen Unterschlupf bot. Doch nur dünnes Buschwerk und kleine Baumgruppen tauchten sekundenlang vor ihren Augen auf, bald wieder verschlungen von der grollenden Finsternis.
„He, seht dort!“ Selbst Kandons mächtige Stimme konnte das Heulen des Sturms kaum durchdringen. „Ein Licht! Dort vorn! Folgt mir!“
Die anderen hatten kaum verstanden, was Kandon brüllte, aber sie hatten gemerkt, dass er irgendetwas gesehen haben musste, und folgten ihm. Und dann sahen auch sie es. Im aufzuckenden Schein der Blitze erkannten sie vor sich eine hohe Mauer mit einem Torbogen. Das Tor war geschlossen, aber davor hing eine brennende Sturmlaterne, wild hin und her schwingend, aber sicher verankert an ihrer eisernen Kette. Kandons schwere Faust donnerte gegen die Tür.
„He! Öffnet!“ brüllte er. „Lasst uns ein, ehe wir in der Regenflut ersaufen!“
Erwartungsvoll starrten alle auf das Tor, aber nichts rührte sich. Das Grollen des Donners schien schwächer zu werden, und auch die Blitze zuckten seltener, aber der Regen prasselte mit unverminderter Heftigkeit. Wieder hämmerte Kandon an das Tor, und da hörte man plötzlich, dass innen der Riegel beiseitegeschoben wurde. Einer der Türflügel schwang zurück und die Gestalt eines Mannes mit einer Laterne wurde sichtbar. Er hob das Licht und betrachtete missmutig die Gesichter der Gefährten, die sich unter dem winzigen Vordach des Torbogens drängten.
„Was soll der Lärm!“ fragte er aufgebracht und mürrisch. „Wer, bei allen Dämonen, seid ihr? Und wieso kommt ihr hierher? Der Herr erwartet keinen Besuch. Also schert euch davon!“
Yorn wurde zornig. Er sah, dass Vanea fror, und wollte sie so schnell wie möglich im Trockenen wissen. Und dieser Mensch stellte dumme Fragen und wies sie fort, statt nach dem Brauch der Gastfreundschaft die durchnässten Reisenden einzulassen.
„Hat dich dein Herr nicht gelehrt, was Gastfreundschaft ist?“ knurrte er daher. „Lass’ uns erst einmal in den Torgang ein. Dort ist immer noch Zeit, uns auszufragen. Glaubst du, wir stehen zu unserem Vergnügen hier im Regen?“
Yorns wütendes Gesicht und Kandons mächtige Gestalt schienen den Mann einzuschüchtern.
„Na gut, kommt erst mal rein!“ sagte er und trat zögernd zur Seite. Kaum war Kandon jedoch als Letzter durch die Tür getreten, als der Mann wiederum fragte:
„Nun, wer seid ihr und was ist euer Begehr?“
Yorn wischte sich mit dem Ärmel das Wasser aus dem Gesicht. Dann deutete er auf Kandon. „Dieser Mann hier und ich sind Leibsklaven des Händlers Patras aus Blooria“, sagte er. „Unser Herr hat uns ausgesandt, diese beiden Sklaven hier von seinem Geschäftsfreund
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