Das Orakel von Margyle
Besitzer fragten, ob sie die Pferde bei ihm lassen könnten, warf er ihnen einen misstrauischen Blick zu. Das Misstrauen machte einem anderen Ausdruck Platz, als Rath ihn fragte: “Gibt es hier in der Nähe eine Gaststätte, wo die Fischer hingehen?” Er warf einen Blick über die Schulter und senkte die Stimme. “Eine, in der die Patrouillen nicht zu oft vorbeischauen?”
Auch der Stallbesitzer blickte sich rasch um, bevor er antwortete. “Ihr meint '
Zum Affen'
unten am Kai? Dort werdet Ihr eine Menge Seeleute finden, was Ihr allerdings schnell bereuen werdet, falls Ihr meine Meinung hören wollt.”
Maura verstand den Mann besser, als er ahnen konnte. Diese Seeleute ähnelten vermutlich den Männern, von denen sie in Aldwood gefangen gehalten worden war. Warum nur hatten die Zauberer von Vestan ihr aufgetragen, einen solchen Mann aufzusuchen?
“'
Zum Affen'
ist das Richtige für uns.” Rath packte Maura am Handgelenk, zog sie in den kalten, nach verdorbenem Fisch riechenden Nebel hinaus und dirigierte sie durch einen Irrgarten verwinkelter Straßen und Gassen. Dass der Nebel immer undurchdringlicher wurde und der Fischgestank zunahm, bis Maura zu ersticken glaubte, war der einzige Hinweis darauf, dass sie sich dem Wasser näherten. Sie bemühte sich angestrengt, auf etwas anderes als ihren rebellierenden Magen zu achten, und hörte, wie Wellen rhythmisch gegen Holz schlugen.
“Das scheint es zu sein.” Rath deutete auf ein im Nebel kaum sichtbares Wirtshausschild. Darauf war ein Tier zu sehen, das vage einem tolinesischen Affen ähnelte. Aus dem Innern des Hauses drangen raues Lachen, wütende Schreie und das Klirren von zerbrechendem Glas.
Als Rath die Tür aufstieß und dabei Maura hinter seinen Rücken schob, hörte sie ihn flüstern: “Möge der Allgeber über uns wachen … falls er durch diesen Nebel schauen kann.”
Der Schankraum erinnerte Maura ein wenig an die Taverne in Westborne, in der sie bei den geheimen Anhängern des Allgebers, die sich selbst Twariths nannten, Hilfe gesucht hatte. Der Geruch nach Schnaps überlagerte den allgegenwärtigen fauligen Fischgestank. Aber das half ihrem Magen auch nicht. Irgendwo auf der anderen Seite dieses lauten, überfüllten Raumes quälte jemand ein Instrument, das Maura noch nie gehört hatte. Die meisten Gäste dieser Schänke saßen auf niedrigen Holzbänken, die an langen schmalen Tischen standen. Dort schütteten sie aus Tonbechern irgendein Getränk in sich hinein und stritten oder lachten brüllend mit ihren Nachbarn.
Dass sie kein Comtung sprachen, nahm Maura ein wenig die Angst. Comtung war die Sprache, in der ihr Volk sich normalerweise mit den hanischen Eroberern verständigte. Hier aber sprachen die Leute das landesübliche Umbrisch, wenn auch mit einem seltsamen Akzent, der Maura völlig unbekannt war und sie dadurch verunsicherte.
Es wurde keineswegs leiser, als Rath sich jetzt einen Weg durch die Menge bahnte und Maura dabei hinter sich herzog. Keiner würdigte sie eines Blickes. Selbst die, mit denen sie auf ihrem Weg zum Tresen zusammenstießen, schienen durch sie hindurchzusehen. Trotzdem kribbelte Mauras Haut zwischen den Schulterblättern, als würden viele neugierige, feindliche Blicke ihren Rücken treffen.
Als Rath endlich den Tresen erreicht hatte, versuchte er eine Zeit lang vergebens sich dem Mann, der die Getränke ausschenkte, bemerkbar zu machen. Am Ende mit seiner Geduld stürzte er sich schließlich nach vorne, packte den Mann am Hemd und riss ihn vom Boden hoch, bis sich ihre Nasen auf gleicher Höhe befanden.
Nachdem er so die Aufmerksamkeit des Kerls gewonnen hatte, sprach Rath mit ruhiger, höflicher Stimme, die im völligen Gegensatz zu seinem Benehmen und auch zur Umgebung stand: “Ich suche einen gewissen Captain Gull, wenn es Euch genehm ist.”
Maura rechnete damit, dass das Stimmengwirr einer erwartungsvollen Stille weichen würde, und das Kribbeln zwischen ihren Schulterblättern wurde zwar tatsächlich stärker, doch der Lärm nahm nicht ab. Der Schankwirt antwortete nicht, nur sein Gesicht wurde rot und röter. Sein Blick flog zu einem großen Mann, der neben Rath stand. Dessen kahl geschorener Schädel trug eine Tätowierung, die aussah wie eine Landkarte.
Der große Mann beugte sich zu Rath. Maura wunderte sich über den freundlichen Ton, in dem er fragte: “Ihr möchtet also gerne Gull sehen, Landratte? Ich kann Euch zu ihm bringen.”
“Wann?” Rath lockerte den Griff am Kragen des
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