Das Orakel von Margyle
nach ihr, um sie zu streicheln, ohne Rath dabei auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. “Bildet Euch ja nicht ein, dass ich Euch auf die Nase binde, was ich weiß oder nicht weiß.”
Jetzt hielt Rath die Zeit für gekommen, es vielleicht mit einer kleinen Schmeichelei zu versuchen. “Man muss nicht besonders klug sein, um zu erkennen, dass Ihr mit Sicherheit mehr wisst als weniger.”
Gull grinste. “Das könnt Ihr glauben, Landratte. Ein Mann wie ich überlebt in dieser Stadt nur, wenn er über das richtige Wissen verfügt.”
“Dann müsst Ihr das Gerücht von einer Revolte in den Minen gehört haben. Einer erfolgreichen Revolte.”
“Wenn es wahr wäre, wäre es ziemlich erstaunlich.”
“Es ist wahr.” Rath konnte einen triumphierenden Ton in seiner Stimme nicht unterdrücken. “Und es war erstaunlich.”
Er spürte, wie sich der Griff um seine Arme lockerte, und machte sich los, ohne allerdings mit einer schnellen Bewegung die Waffe zu ziehen. “Ich führte diese Männer an. Jetzt hat man das Mädchen und mich zu den Vestanischen Inseln befohlen. Wenn Ihr uns nicht hinbringen könnt, dann lasst uns gehen, damit wir uns woanders um eine Überfahrt bemühen können.”
Gull brauchte einige Zeit, um zu einem Entschluss zu kommen … oder zumindest, um ihn zu verkünden. Während sie darauf warteten, schlenderte er im Zimmer umher, streichelte die Katze und fütterte sie mit Bröckchen von etwas, das aussah wie roher Fisch und auf einer Platte aufgehäuft war.
Schließlich, als Rath sich schon auf den nächsten Tötungsbefehl gefasst machte, blickte Gull ihn und Maura an, als würde er sich fragen, wieso sie immer noch hier waren. “Ein Glück für Euch, dass in diesem Sommer die Erzflotte mit ihrer Fracht bereits wieder nach Dun Derhan gesegelt ist. Sonst könnte mich nichts dazu bringen, mich jetzt in dieses Gewässer zu wagen.” Die folgenden Worte richtete er an den tätowierten Burschen, der hinter Rath stand. “Steh da nicht so rum, Nax, besorge unseren Gästen Essen und einen Platz zum Schlafen. Ich hoffe, Ihr nehmt meine Gastfreundschaft an?”, fragte er Rath und Maura. “Morgen früh werden wir uns sehr zeitig auf den Weg machen müssen.”
Bevor Rath antworten konnte, sagte Maura: “Eure Freundlichkeit ehrt uns, Captain. Möge der Allgeber Euch seine Güte schenken.”
Mit ironischem Lächeln und einer übertriebenen Verbeugung nahm Gull ihren Segen an.
Rath vermutete, dass der Mann nicht gerade im Dienste des Allgebers das Risiko auf sich nahm, für eine Verbindung zwischen dem umbrischen Festland und den Inseln zu sorgen. Ebenso war sein Angebot, sich um Essen und Unterkunft zu kümmern, kein Akt der Freundlichkeit, sondern eine Vorsichtsmaßnahme. Falls sie doch Spione wären, wollte Gull ihnen keine Gelegenheit geben, sich davonzustehlen und der örtlichen Garnison etwas über die verbotene Reise zu erzählen, in die er eingewilligt hatte.
Rath vermutete, dass auch Maura das wusste. Doch da sie kein Geld besaßen und niemanden in Duskport kannten, war die Gastfreundlichkeit eines Schmugglers immer noch besser, als im Nebel zu schlafen. Vielleicht war ihnen am Ende das Schicksal doch wohlgesonnen.
Der Mann, der Nax hieß, führte sie durch enge Gänge und zwei Treppen hinauf in ein gemütliches, fensterloses Zimmer. Letzteres behagte Rath gar nicht, der offene Räume mit Fluchtmöglichkeit vorzog. Doch er verbarg sein Missbehagen vor Maura, die über Captain Gulls Gastfreundschaft ganz erfreut zu sein schien.
“Der reine Luxus!” Sie ließ sich auf die dicke Strohmatratze in einer der Ecken fallen und schnüffelte. “Auch das Stroh ist sauber, gemischt mit Honiggras und Flohkraut.”
Rath zwang sich zu einem Lächeln. Auch der komfortabelste Käfig der Welt war immer noch ein Käfig.
“Hier gibt es jede Menge Platz für uns beide.” Sie klopfte auf die Matratze.
“Das ist gut”, rief er. “Es wäre mir gar nicht angenehm, wenn ich dich auf dem Boden schlafen lassen müsste.”
Die Tür öffnete sich und Nax kam mit einem beladenen Tablett herein. “Ich hoffe, Ihr seid hungrig. Es gibt reichlich.”
Maura kletterte von der Matratze. “Das sieht ja nach einem Festessen aus! Richtet Captain Gull unseren Dank für seine Großzügigkeit aus.”
“Sehr wohl, Mistress.” Der große, bedrohlich wirkende Schmuggler klang so sanftmütig, dass Rath nur mit Mühe ein leises Lachen unterdrücken konnte. “Falls Ihr sonst noch etwas benötigen solltet, egal
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