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Das Orakel von Margyle

Das Orakel von Margyle

Titel: Das Orakel von Margyle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Hale
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Frage, denn es bat Maura durch die Hütte hindurch zu einer großen offenen Veranda. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick hinunter aufs Meer. “Kommt, setzt Euch und ich will Euch erzählen, wie es ist.”
    Maura ließ sich auf einen Stuhl sinken, der aus vielen dünnen Zweigen gemacht zu sein schien, die zu einem festen Sitz verflochten waren. Sie fragte sich, was das Orakel wohl sonst noch für erstaunliche Enthüllungen für sie parat hielt.
    Das Kind setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. “Wie jedes andere Orakel seit Hunderten von Jahren brachte man mich in dieses Haus, als ich noch ein Baby war, damit das vorige Orakel mich aufziehen konnte.”
    “Habt Ihr je Eure richtige Familie gesehen?” Maura musste an die Woodburys von Galene denken, die sie so schnell wie möglich kennenlernen wollte.
    “Ich habe keine Familie. Daher wusste der Rat, dass ich diejenige bin. Ein verwaistes Kind, geboren zur rechten Zeit.”
    Maura nickte.
    “Habt Ihr denn je das Sterberitual abgehalten?”, fragte das Orakel.
    “Für meinen Vormund, Langbard, im letzten Frühling.”
    “Langbard?” Ein abwesender Blick trat in die Augen des Orakels und seine unschuldigen Lippen verzogen sich zu einem gar nicht so unschuldigen Lächeln: “Er war ein gut aussehender Bursche. Wenn wir zwanzig Jahre jünger gewesen wären …” Das Mädchen schlug die Hände vors Gesicht. “Verzeiht mir! Bitte, denkt nicht schlecht von mir. Der Name brachte solche lebhaften Erinnerungen zurück, dass ich einen Moment lang das alte Orakel in mir spüren konnte.”
    Maura fragte sich, was das nun wieder bedeuten sollte.
    Das Kind beeilte sich, es ihr zu erklären. “Wenn ein altes Orakel seine Nachfolgerin großzieht, ist jeder Tag wie ein verlängertes Sterberitual. Sonst würde die Zeit nicht reichen, all die über Generationen zurückreichenden Erinnerungen mitzuteilen. Wenn dann das alte Orakel bereit ist, diese Welt zu verlassen, hat das neue das geballte Wissen und die Erfahrung all derer erhalten, die vor ihm hinübergegangen sind.”
    “Unglaublich!”, flüsterte Maura.
    “Allerdings.” Das Orakel seufzte. “Wenn alles so abläuft, wie es soll.”
    Die wehmütigen Worte des Kindes ließen Maura in ihrem Stuhl hochfahren. “Aber Euer Orakel starb zu früh, nicht wahr? Bevor Eure Ausbildung abgeschlossen war?”
    Mit einem vorsichtigen Nicken zog das Kind die Beine auf den Stuhl und umschlang seine Knie. “Es ist erst ein paar Monate her, da wurde sie plötzlich sehr krank, und die Heiler konnten nichts tun, um ihr zu helfen. Am Ende war ich die ganze Zeit bei ihr, während sie Erinnerungen in meinen Geist fließen ließ, bis ich glaubte, mein Kopf müsste platzen.”
    Maura stand von ihrem Stuhl auf und kniete sich neben das Kind. “Das muss eine traurige und beängstigende Zeit für Euch gewesen sein.”
    “Es ist nicht gerecht!” Das junge Orakel schlug mit der Faust auf die Stuhllehne. “Nie ist das einer der anderen passiert – warum mir? Es sind ruhelose Zeiten. So viele Dinge ändern sich. So viele notwendige Entscheidungen müssen getroffen werden. Die Leute wollen meinen Rat. Aber ich bin nicht bereit – so viel über die Jahrhunderte gesammelte Weisheit ist verloren gegangen.”
    Mochte sie auch die Hüterin weit in die vergangenen Jahrhunderte reichender Erinnerungen sein, so war sie trotzdem noch ein Kind. Ein Kind, das zu früh seine geliebte Ziehmutter verloren hatte. Ein Kind, das sich niemandem anvertrauen konnte als seiner Dienerin und vielleicht einigen Ratsmitgliedern.
    Das Kind lehnte die Stirn auf die Knie und seine zarte Gestalt wurde von Schluchzen geschüttelt.
    “Ihr habt recht.” Maura schlang die Arme um das Kind. “Es ist nicht gerecht. Wenn es Euch hilft, ich weiß ein wenig, wie Ihr Euch fühlt.”
    Während das Kind weinte, erzählte Maura von Langbards überraschender Ankündigung an ihrem Geburtstag und von den Ereignissen, die sich seitdem überschlagen hatten.
    “Ihr seht also”, sagte sie schließlich, als das Schluchzen des Kindes sich etwas beruhigt hatte, “als ich loszog, fühlte ich mich nicht bereit für eine so große Aufgabe und hatte Angst, ich würde versagen und alle ins Verderben stürzen.” Wie um ein Geständnis abzulegen, senkte sie die Stimme. “Manchmal fühle ich mich immer noch so. Wenn ich zu sehr darüber grüble, erstarre ich schlimmer als unter einem Spinnenseidenzauber.”
    Das Orakel wischte sich die Augen und schniefte. “Wie könnt Ihr

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