Das Orakel von Margyle
erklärte. Er hatte eine große Holzplatte in der Mitte des Raums auf den Boden gelegt, auf der Umbria in Ton modelliert war. Maura ließ den Blick darüber schweifen und verfolgte den Weg, den sie auf ihrer Suche nach dem Wartenden König zurückgelegt hatte.
“Verzeiht, Idrygon.” Der Zauberer Trochard erhob sich von seinem Sitz und deutete auf die winzigen Schiffsmodelle, die in Richtung Duskport über das Brett geschoben wurden. “Ihr habt äußerst gründliche Vorbereitungen getroffen. Doch die Anzahl der Schiffe, die Euch zur Verfügung stehen, und die Anzahl der Krieger, die Ihr aufbringen konntet, sind ein Nichts gegen die Han-Legionen, die das Königreich besetzt halten. Ich glaube nicht, dass Eure Invasion Erfolg haben kann.” Er drehte sich um und machte vor Rath eine knappe Verbeugung. “Noch nicht einmal, wenn der Wartende König sie anführt, denn er hat keine magische Armee und auch keine speziellen Kräfte, um …”
Raths Hände umklammerten die Lehnen seines Sessels. Maura wusste, dass er mit sich kämpfen musste, um im Ratszimmer den König zu spielen, wie sie ihn gebeten hatte.
“Falls Ihr mir erlaubt fortzufahren, Trochard”, erwiderte Idrygon scharf, “können Eure Fragen beantwortet werden.”
“Er hat recht, Trochard.” Madame Verise forderte den rothaarigen Zauberer mit einem Kopfnicken auf, sich wieder zu setzen. “Es war in diesem Rat immer üblich, zuerst zuzuhören und zu überlegen, bevor man Einspruch erhebt.”
Mit einem wütenden Blick ließ Trochard sich wieder auf seinen Sitz fallen.
“Wie ich schon sagte …” Idrygon schob die winzigen Schiffe näher an die Küste. Es waren erbärmlich wenige. “Unsere Strategie ist es, die Han nicht auf offenem Schlachtfeld zu treffen. Sie sind viele, aber sie sind dünn über ein weites Gebiet verstreut. Wenn wir unsere geringen Kräfte in Überraschungsangriffen auf Schlüsselpositionen bündeln, bin ich überzeugt davon, dass wir siegen können.”
Er deutete auf Rath. “Und Ihr seid im Unrecht, wenn Ihr behauptet, Seine Hoheit besäße keine besonderen Waffen oder Kräfte. Die Kraft seiner Sage ist eine der stärksten Waffen, die sich eine Armee nur wünschen kann. Sie wird die Festlandbewohner vereinen. Sie mögen nicht so gut trainiert oder ausgerüstet sein, aber gut geführt können sie eine mächtige Streitkraft bilden. Und täuscht Euch nicht – sie werden in Scharen zum Banner des Wartenden Königs strömen.”
Maura hatte sich für den energischen, ehrgeizigen Idrygon nie so erwärmen können wie für seinen gelehrten Bruder, doch in diesem Augenblick hätte sie ihn vor Freude am liebsten geküsst. Trochard wand sich in seinem Sessel, als ein zustimmendes Gemurmel durch die Reihen der Ratsmitglieder ging.
Mit einem Ausdruck grimmigen Triumphs beschrieb Idrygon, wie seine Streitmacht Duskport angreifen und als Standort sichern würde. Von hier aus würden sie durchs Diesseitsland marschieren, jede Stadt und jedes Dorf befreien und an Stärke gewinnen. “Wenn wir Tarsh, Norest und die Südmark von den Han gesäubert haben, werden wir bereit sein, über Westborne hereinzubrechen.”
Rath erhob sich und zog damit alle Blicke des Rats auf sich.
“Wünscht Ihr zu sprechen, Hoheit?”, fragte Idrygon.
“Was ist mit den Minen?”
“Verzeihung, Hoheit?”
“Die Blutmondminen.” Rath deutete auf Idrygons Landkarte. “Ihr habt von ihnen gehört?”
“Natürlich, Hoheit. Was ist mit ihnen?”
“Sie müssen eines unserer ersten Ziele sein. Sie sind …” Er suchte nach dem richtigen Wort und zuckte zusammen, als ihm nichts anderes als “falsch” einfiel. “Sie sind …” Er versuchte es wieder, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt.
“Eine Beleidigung.” Maura erhob sich und stellte sich neben ihn. “Die Minen sind eine Beleidigung des Allgebers und damit aller Umbrianer.”
Rath fasste nach ihrer Hand und drückte sie dankbar.
Idrygons Gesicht verfinsterte sich. “Eurer Hoheit Sorge um die Unterdrückten in den Minen ist lobenswert. Doch fürchte ich, der verfrühte Versuch, sie zu befreien, ist nicht nur zum Scheitern verurteilt, sondern würde unser ganzes Unternehmen in Gefahr bringen.” Als Rath ihm widersprechen wollte, wechselte Idrygon die Taktik. “Ihr und ich können das später unter vier Augen besprechen, Hoheit. Vielleicht können wir einen Weg finden, die Befreiung der Minen zu beschleunigen, ohne unser größeres Ziel zu gefährden.”
Meinte Idrygon, was er sagte? Oder
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