Das Orakel von Margyle
es diese kleine List verzeihen, nachdem sie erst einmal ihren Zweck erfüllt hat.”
Wahrscheinlich hatte Idrygon wieder einmal recht, wie so oft. Und doch erschien es Rath nicht richtig.
“Ich denke, eine Zeit lang werde ich es so machen können.” Jetzt hatte er etwas in der Hand, mit dem er Idrygon unter Druck setzen konnte. “Unter einer Bedingung.”
“Und die wäre?”
Es lag Rath auf der Zunge zu fordern, Maura nicht auf die Suche nach Velorkens Stab zu schicken. Doch er befürchtete, sie würde es ihm das nie verzeihen. “Die Minen. Haben wir erst einmal das Diesseitsland befreit, möchte ich eine Armee, um diese verfluchten Minen anzugreifen.”
Idrygon schüttelte den Kopf. “Das wäre ein zu großes Risiko.”
“Doch die Han würden es nicht erwarten, nicht wahr? Und bedenkt, was für ein Schlag es für sie wäre, all das Erz und die Edelsteine zu verlieren, die sie aus den Minen gewinnen.”
Zum ersten Mal schien Idrygon eine von ihm getroffene Entscheidung noch einmal gründlich zu überdenken. “Schon wahr, aber …”
“Würdet Ihr Euch bitte entscheiden?” Dame Diotta starrte sie verärgert an. “Ich habe keine Lust, die ganze Arbeit umsonst gemacht zu haben.”
Rath unterdrückte ein Grinsen, als er hörte, wie Idrygon ausgescholten wurde. “Was sagt Ihr? Schlagt Ihr in den Handel ein?”
“Also gut.” Idrygon zog die Nase kraus. “Vielleicht lächelt der Allgeber uns zu, und wir haben Velorkens Stab zu der Zeit schon in unserem Besitz. Nehmt jetzt diesen Wachstumstrank zu Euch und seht, wie er wirkt.”
Maura schaute von der Schriftrolle auf, mit der sie und Delyon sich gerade beschäftigten. Wenn es ihnen gelang, die Schrift zu entziffern, fanden sie vielleicht einen Hinweis darauf, wie sie die Erinnerungen an Abrielles Versteck für Velorkens Stab wiedererwecken konnten.
Idrygon betrat den Innenhof und sah noch selbstzufriedener aus als gewöhnlich. Hinter ihm schritt ein Mann, der so groß war, dass er sich bücken musste, um sich nicht den Kopf am Torbogen zu stoßen.
Maura fragte sich, wer dieser Gast wohl war, und musterte seine prächtige Rüstung. Und wieso war Rath nicht mit Idrygon nach Hause gekommen?
Dann zog der riesige Mann den sorgsam gearbeiteten Lederhelm ab. Maura fiel der Weinkelch aus der Hand und schlug klirrend auf dem Boden auf.
“Rath Talward!” schrie sie. “Was, im Namen des Allgebers, hast du angestellt?”
Bevor Rath antworten konnte, sprach Idrygon. “Sieht er nicht fantastisch aus?”
Maura fielen etliche Worte ein, während sie ihren Ehemann anstarrte. Das Wort fantastisch war nicht darunter.
Ungewohnt. Einschüchternd. Wie immer sie auch zustande gekommen sein mochte, diese beängstigende Verwandlung passte zu gut zu Raths neuem, verändertem Wesen. Ein Schatten von Argwohn schlich sich in ihr Herz – der Argwohn, den sie empfunden hatte, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren.
“Es war Idrygons Idee”, knurrte Rath. Seine Stimme war tiefer denn je und hatte einen heiseren Ton, bei dem es Maura kalt den Rücken hinunterlief.
Er sah nicht länger wie der Mann aus, den sie so sehr lieb gewonnen hatte, und er hörte sich auch nicht so an. Die Vorstellung, mit diesem fremden, groben Koloss das Bett zu teilen, erfüllte Maura mit Unbehagen.
Idrygon schien Raths Verwandlung so gut zu gefallen, wie Maura sie fraglich fand. “Das ist es, was die Festlandbewohner von ihrem Wartenden König erwarten. Das ist es, was sie uns folgen lassen wird – der Held der Legenden, der zum Leben erwacht ist.”
Er fuhr fort, lang und breit die Gründe für Raths Veränderung zu erklären und wie sie erreicht worden war.
“Also wird sie nicht anhalten?” Maura war erleichtert, das zu hören, wenn auch nicht allzu erstaunt. Die meisten Lebenszauber wirkten nur eine begrenzte Zeit. Dann mussten sie erneuert werden.
“Beides, der Wachstums- wie der Stimmenzauber, wird vom Morgen bis zum Abend anhalten”, sagte Idrygon. “Und wir haben genug von den Zaubermitteln, um die Veränderung herbeizuführen. Wenn wir erst einmal die Küste erreicht haben, wird es nicht lange dauern, bis sich die Nachricht verbreitet, dass der Wartende König erwacht ist – ein Held von sagenhafter Größe, dem kein Han sich widersetzen kann.”
“Kein gewöhnlicher Han, wollt Ihr sagen”, korrigierte ihn Maura. “Ich glaube kaum, dass die Echtroi Größe eine besondere Beachtung schenken. Für sie bedeutet das nur etwas mehr Fleisch, das sie quälen
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