Das Orakel von Port-nicolas
dich denkst.«
»Ich weiß. Das ist ein Problem.«
»Zeig mir deine Nase.«
Ohne nachzudenken, hielt Marc Marthe sein Gesicht entgegen.
»Da ist kein Platz, um einen Ring durchzuziehen, sie ist zu schmal. Glaub mir, ich kenn mich aus mit Männern. Und außerdem dürfte es nicht gerade angenehm sein, dich die ganze Zeit um sich herum zu haben.«
»Na, siehst du.«
»Und niemand bittet dich darum, Ludwig zu begleiten.«
»Aber fast. Er lockt mich mit einem Hundehaufen, ziemlich wirkungsvoll, sehr subtil, und dann zieht er mich damit bis in die Bretagne, weil er weiß, daß ich ein Ding, das ich einmal angefangen habe, nicht aufgeben kann. Das ist wie eine Flasche Bier, du machst sie auf und bist verloren, nun mußt du sie auch leeren.«
»Es geht nicht um Bier, es geht um ein Verbrechen.«
»Ich versteh mich schon.«
»Ludwig ist gestern losgefahren. Und zwar ohne dich, Vandoosler Junior. Er hat dich sehr respektvoll deinen Studien überlassen.«
Marthe sah ihn lächelnd an, und Marc blieb stumm. Ihm war heiß, er hatte zuviel geredet. Am ersten Januar würde er Vorsätze fassen. Er fragte ruhig, ob es nicht zufällig Zeit für einen Kaffee sei?
Sie machten sich ihren üblichen kurzen Kaffee, ohne ein Wort zu sagen. Dann bat Marthe ihn um Hilfe bei ihrem Kreuzworträtsel. Da er sich leicht ermattet fühlte, willigte Marc ausnahmsweise ein, die Arbeit beiseite zu legen. Sie setzten sich beide auf das zum Sofa zusammengeklappte Bett, Marc stopfte sich ein Kissen in den Rücken und eines in den Rücken von Marthe, stand auf, um einen Radiergummi zu holen, man kann kein Kreuzworträtsel lösen ohne Radiergummi, wiederholte das Manöver mit dem Kissen, zog seine Stiefel aus und dachte über 6 waagerecht in zehn Buchstaben nach: »Kunstform«.
»Da gibt’s ja einiges«, sagte Marc.
»Kommentier nicht, such.«
14
Bevor er mit dem Rathaus begann, frühstückte Louis im Café de la Halle auf der anderen Seite des Platzes. Er wartete, bis seine Jacke ein wenig getrocknet war. Louis hatte auf den ersten Blick gesehen, daß das Café ganz nach seinem Geschmack war, seit vierzig Jahren hatte niemand daran gerührt. Hier befand sich ein Originalflipper und ein Billardtisch mit einem schmutzigen Pappschild: »Vorsicht, das Tuch ist neu«. Eine Kugel zu stoßen, um eine andere zu erreichen, war ein System, dessen Feinsinnigkeit ihm immer gefallen hatte. Die Banden, die Winkel, das Zurückrollen zu berechnen, nach links zu zielen, um etwas rechts zu erreichen. Raffiniert. Der Billardraum war groß und dunkel. Man durfte nur Licht anmachen, wenn man spielen kam, und an diesem Montagvormittag gegen halb zwölf war es noch zu früh dafür. Die kleinen Fußballer des Tischfußballs hatten vom vielen Spielen ganz abgenutzte Füße. O. k., Füße, es ging schon wieder los. Er mußte sich um diesen Zeh kümmern und durfte sich nicht sofort einer Partie Religionsunterricht am Flipper hingeben, der ihm die Arme entgegenstreckte.
»Ist der Bürgermeister heute zu sprechen?« fragte Louis die alte Dame in Grau und Schwarz, die hinter der Theke stand.
Die alte Frau dachte nach, dann legte sie langsam ihre feingliedrigen Hände auf die Theke.
»Wenn er im Rathaus ist, gäbe es keinen Grund, warum nicht. Aber, Donnerwetter, wenn er nicht dort ist …«
»Ja«, sagte Louis.
»Ansonsten kommt er gegen halb eins her, um seinen Aperitif zu trinken. Wenn er auf einer Baustelle ist, kommt er nicht. Aber wenn er nicht dort ist, kommt er.«
Louis bedankte sich, bezahlte, nahm seine noch immer durchnäßte Jacke und überquerte den Platz. Als er das kleine Rathaus betreten hatte, wurde er gefragt, ob er angemeldet sei, weil der Herr Bürgermeister in seinem Büro arbeite.
»Könnten Sie ihn darüber informieren, daß ich auf der Durchreise bin und ihn zu sprechen wünsche? Kehlweiler, Louis Kehlweiler.«
Louis hatte sich nie Visitenkarten machen lassen, das störte ihn.
Der junge Mann telefonierte und gab ihm dann ein Zeichen, daß er hinaufgehen könne, erster Stock, die Tür am Ende. Es gab eh nur ein Stockwerk.
Louis hatte keinerlei Erinnerung mehr an den Bürgermeister und Senator, abgesehen von seinem Namen und der Kategorie »Parteilose«. Der Mann, der ihn empfing, war ziemlich gedrungen, etwas weich, eines jener Gesichter, auf die man sich stark konzentrieren muß, um sich an sie zu erinnern, aber sehr elastisch. Er lief leicht federnd, knickte alle Finger einer Hand mit der anderen um, ohne daß es knackte, und das mit
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