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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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sich in eine herzliche, wohlwollende Trägheit verwandelt, die von gelegentlichem Flüstern unterbrochen wurde. Louis war Meister in der Kunst geworden, eine ganz und gar künstliche Vertrautheit entstehen zu lassen. Marthe fand das ziemlich ekelhaft, aber natürlich nützlich, immer nützlich. Gegen Ende des Essens kam ein kleiner dicker Mann an ihren Tisch, um Guten Tag zu sagen. Niedrige Stirn, schwerfälliges Gesicht; Louis erkannte sofort den Direktor des Zentrums für Thalassotherapie, den Mann seiner kleinen Pauline, das heißt den Dreckskerl, der seine Pauline geschnappt hatte. Er redete mit Chevalier von Zahlen und Wasserleitungen, und sie kamen überein, sich im Lauf der Woche zu sehen. Diese Begegnung hatte Louis verärgert. Nachdem er den Bürgermeister in herzlichem, scheinbarem Einvernehmen verlassen hatte, ging er ziellos im Hafen umher, dann die leeren Straßen entlang, die von Häusern mit geschlossenen Läden gesäumt waren, und lüftete Bufo, die in der Tiefe der nassen Tasche nicht allzusehr gelitten hatte. Bufo war ein ziemlich umgängliches Wesen. Der Bürgermeister vielleicht auch. Der Bürgermeister war sehr zufrieden, daß Louis Port-Nicolas wieder verließ, und Louis ließen seine Enttäuschung und seine dezente Verabschiedung nicht los. Vom Hotel aus rief er ein Taxi und ließ sich zur Gendarmerie von Fouesnant fahren.

15
    Marc Vandoosler stieg am frühen Abend in Quimper aus dem Zug. Es war ja auch zu einfach. Kehlweiler ließ ihn tagelang einem aasfressenden Hund hinterherrennen, und dann verzog er sich, um die Geschichte allein zu beenden. Nein, das war zu einfach. Es gab nicht nur Kehlweiler, der dreckige Arbeiten beenden wollte. Er, Marc, hatte niemals eine Untersuchung in der Schwebe gelassen, niemals, da er jede Form von Unterbrechung haßte. Gewiß, alles mittelalterliche Untersuchungen, aber trotzdem Untersuchungen. Er war mit seinen Aktenauswertungen immer zum Ende gekommen, selbst mit den verzwicktesten. Die mühsame Studie zum dörflichen Handel im 11. Jahrhundert hatte ihn Schweiß und Blut gekostet, aber sie war abgeschlossen, verdammt. Hier handelte es sich natürlich um etwas anderes, um einen schmutzigen Mord, so hatte Louis nahegelegt, aber Louis besaß nicht die Exklusivrechte auf die Jagd nach Schmutz. Und jetzt machte sich der Sohn des Zweiten Weltkriegs – o.k. er sollte dringend damit aufhören, ihn so zu nennen, sonst würde ihm das eines Tages noch versehentlich über die Lippen kommen ganz allein an die Verfolgung des Hundes, dieses Hundes, den zu allem Überfluß auch noch Mathias aufgespürt hatte. Und Mathias war seiner Meinung gewesen, man müsse dem Köter folgen. Zweifellos war es das, stärker noch als alles andere, was Marc endgültig zu seiner Entscheidung bewogen hatte. Hastig hatte er eine Tasche vollgestopft, die Lucien, der 1914-18-Historiker, rasch wieder ausgeleert hatte, keine Ahnung vom Packen, hatte er dazu gemeint. Verdammt, dieser Typ.
    »Scheiße!« hatte Marc gerufen. »Deinetwegen verpaß ich noch den Zug!«
    »Aber nein. Züge warten immer auf mannhafte Kämpfer, das steht für alle Ewigkeit in der Halle der Gare de l’Est geschrieben. Die Frauen weinen, doch leider fahren die Züge.«
    »Ich fahre aber nicht zur Gare de l’Est!«
    »Völlig unerheblich. In Wirklichkeit vergißt du das Wesentliche.«
    Während er die Hemden zu kleinen Quadraten zusammenlegte, hatte Lucien mit dem Blick auf den Stapel Rechnungsbücher des Seigneurs von Puisaye gedeutet.
    Und in der Tat, Marc war froh, als er im Zug mit dem Kopf an Hugues’ Register gelehnt schlafen konnte. Das Mittelalter war das Heil. Wenn einen zehn Jahrhunderte begleiten, langweilt man sich nirgends. Das Geniale am Mittelalter, so hatte Marc es Lucien erklärt, bestand darin, daß man nie das Ende sah, daß man noch Tausende von Jahren darin graben konnte, was doch erheblich beruhigender sei, als über den Ersten Weltkrieg zu arbeiten wie er, von dem er mit der Zeit jeden Tag kennen würde. Ein monumentaler Fehler, hatte Lucien erwidert, der Erste Weltkrieg ist ein Abgrund, ein schwarzes Loch der Menschheit, eine seismische Erschütterung, in der der Schlüssel zu allen Katastrophen ruht. Die Geschichte ist nicht dazu da, den Menschen zu beruhigen, sondern ihn zu warnen. Zwischen Lorient und Quimper war Marc eingeschlafen.
    Ein Taxi hatte ihn bis Port-Nicolas gefahren, und Marc hatte den heruntergekommenen Hafen, diese zersplitterte Siedlung, von der allein ein winziges Herz

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