Das Orakel von Port-nicolas
das konnte ich nicht mehr ertragen.«
»Was wird Lionel sagen?« fragte Marc.
»Er wird traurig sein. Ich werde ihm einen anderen kaufen, irgendwas Braves.«
In dem Augenblick kam Sevran zurück. Er lehnte eine erdverschmierte Schaufel an die Wand und setzte sich wieder an den Tisch, an einen ganz falschen Platz. Er rieb sich das Gesicht, fuhr sich durchs Haar, schmierte sich überall Erde hin, stand wieder auf, ging zur Spüle und wusch sich die Hände. Dann legte er sie wie zuvor seiner Frau auf die Schultern.
»Ich danke Ihnen trotzdem, daß Sie vor der Polizei gekommen sind«, sagte er. »Das eben ist besser vor Ihnen als vor denen passiert.«
Louis und Marc standen auf, um zu gehen, und Lina warf ihnen ein schwaches Lächeln zu. Auf der Schwelle trat Sevran zu ihnen.
»Bitte«, sagte er. »Wäre es möglich …«
»Den Bullen nichts davon zu sagen?«
»Natürlich … Was werden sie denken, wenn sie erfahren, daß meine Frau geschossen hat? Es war nur ein Hund, aber Sie wissen ja, die Bullen …«
»Was werden Sie erzählen, wenn die den Pitbull sehen wollen?«
»Daß er ausgerissen ist, daß ich nicht weiß, wo er ist. Wir werden sagen, daß er nie zurückgekommen ist. Der arme Hund. Urteilen Sie nicht vorschnell über Lina. Marie hat sie aufgezogen, sie haben sich seit achtunddreißig Jahren nie getrennt, und sie wollte bei uns einziehen. Seitdem Diego, ihr Mann, nicht mehr da ist, drehte sich Marie zu Hause im Kreis, und Lina hatte beschlossen, sie zu uns zu nehmen. Alles war vorbereitet … Maries Tod hat ihr einen schrecklichen Schlag versetzt. Außerdem auch noch ein Mord … und dann noch der Hund … da hat sie den Boden unter den Füßen verloren. Sie müssen sie verstehen, Kehlweiler, sie hat immer Angst vor dem Hund gehabt, vor allem wegen ihrer Kinder.«
»Hat er Martin gebissen?«
»Ja, ja … vor drei Jahren, da war er noch ein junger Hund, und Martin hatte ein bißchen Streit mit ihm gesucht. Nun? Was werden Sie den Bullen erzählen?«
»Nichts. Die Bullen kommen allein zurecht, das ist ihr Job, das ist ihr Schicksal.«
»Danke. Wenn ich helfen kann, wegen Marie …«
»Denken Sie beide nach, sobald Sie die Sache mit dem Hund untereinander geklärt haben. Um wieviel Uhr sind Sie Donnerstag abend nach Paris gefahren?«
»Um wieviel Uhr? Ich fahre immer gegen sechs.«
»Mit dem Hund?«
»Immer. Stimmt, an dem Abend war er nicht zu Hause, er ist wieder mal abgehauen. Einmal zuviel, nicht wahr? Ich war sauer, weil ich nicht gern zu spät in Paris ankomme, ich habe gern genug Zeit zum Schlafen vor meinem Unterricht am nächsten Tag. Ich habe das Auto genommen und bin in der Gegend herumgefahren. Dann habe ich ihn noch weit vor dem Vaubanstrand gefunden, er kam aufs Dorf zugerannt. Ich habe ihn eingefangen, habe ihn angebrüllt, und ab ins Auto. Ich konnte ja nicht ahnen … was er gerade gemacht hatte … nicht wahr?«
»Ich sagte es schon, Sevran, im vorliegenden Fall war Ihr Pitbull von Nutzen. Ohne ihn hätte niemand erfahren, daß Marie ermordet wurde.«
»Das stimmt, man muß versuchen, die Sache unter diesem Aspekt zu sehen … Er war von Nutzen. Aber jetzt haben Sie ja nicht mal was gegessen?«
»Das ist nicht schlimm«, sagte Marc hastig. »Wir kommen schon zurecht.«
»Ich gehe wieder zu Lina. Sie bereut es sicher schon und wird daran denken, mir einen neuen Welpen zu schenken, ich kenne sie.«
Marc verabschiedete sich, wobei er sich sagte, daß es nicht der richtige Augenblick sei, um ihm Fragen zu seiner fabelhaften unnützen Maschine zu stellen, und daß er wiederkommen würde. Er nahm sein Fahrrad und schob es langsam, während Louis neben ihm ging.
»Hast du ihr Gesicht gesehen, als sie auf den Köter gezielt hat?« fragte Marc.
»Ja, es war nichts andres zu sehen.«
»Merkwürdig, wie fürchterlich jemand werden kann, der schön ist. Und vorhin war sie wieder ganz normal.«
»Was hältst du von ihr? Würdest du gern mit ihr schlafen, wenn sie es dir vorschlagen würde?«
»Du bist lustig. Das habe ich mich nicht gefragt.«
»Das hast du dich nicht gefragt? Was machst du aus deinem Leben? Marc, man muß sich das immer fragen, verdammt.«
»Ach so? Das wußte ich nicht. Du hast dich das gefragt? Wäre es denn ja oder nein?«
»Nun, das kommt drauf an. Mit ihr kommt es ganz auf den Moment an.«
»Was nutzt es dir, dich so was zu fragen, wenn du keine bessere Antwort darauf hast?«
Louis lächelte. Einen Moment lang liefen sie schweigend.
»Ich will ein
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