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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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zunickte und sich an die Theke lehnte. Er schob Marc beiseite, um ihn besser sehen zu können. Die Sevrans kamen ebenfalls herein und setzten sich, und Marc beschloß, zu ihnen an den Tisch zu gehen, da Louis ihn schubste, was ihn nervte. Jetzt war der Platz zwischen Louis und René Blanchet frei. Louis musterte das gerötete Gesicht, er bemerkte die blassen Augen, die gewaltige runde Nase, die rissigen, ziemlich rauhen Lippen, die den Stummel einer ausgegangenen Zigarre zusammendrückten, die kleinen Ohren mit schrägen Ohrläppchen, den Schädel, der ohne Krümmung in den Nacken überging, und das alles verbunden mit ziemlich brutalen Gesichtszügen. Die alte Antoinette hatte ihm ein Glas gebracht. Loic, der Fischer vom Tisch in der linken Ecke, war zu ihm gekommen.
    »Es heißt, Marie ist umgebracht worden«, sagte Loic, »weißt du Bescheid? Sie soll nicht von allein gefallen sein.«
    »Man hat’s mir gesagt«, erwiderte Blanchet. »Armes altes Ding.«
    »Die Polizei ist da, hast du gesehen? Guerrec wird sich um die Sache kümmern.«
    »Guerrec? Der wird den ganzen Ort hinter Gitter bringen, das wird nicht lange dauern.«
    »Dann hab ich die Fische für mich allein, na … Der Bürgermeister redet jetzt schon drei Stunden da oben.«
    »Während er seine Arbeit macht, schläft er wenigstens nicht.«
    »Glaubst du das? Glaubst du, jemand hat sie geschubst? Soll ja stimmen.«
    »Ich glaube, was ich sehe, Loic, und ich denke, was ich denke.«
    Darnas nickte Kehlweiler seufzend zu. Aber Kehlweiler war angespannt. Er hielt sein Glas fest in die Hand gepreßt und warf unaufhörlich Blicke nach rechts. Marc beobachtete das von dem Tisch aus, an den er sich mit den Sevrans gesetzt hatte – neben Lina. Louis stand unbeweglich da, mit starrem Körper, abgesehen von diesen sehr raschen Kopfbewegungen.
    »Soll ja stimmen«, wiederholte Loic.
    »Kommt drauf an, wer das sagt«, erklärte Blanchet. »Anscheinend sind Sie das, ist das richtig, Monsieur?«
    Blanchet hatte sich Louis zugewandt.
    »Ich habe die Reise extra deswegen unternommen«, antwortete Louis in liebenswürdigem Tonfall.
    »Und um was genau zu sagen?«
    »Was man Ihnen gerade gesagt hat, daß Marie Lacasta umgebracht worden ist.«
    »Als was bringen Sie eine derartige Anschuldigung vor?«
    »Als einfacher Bürger … Ein Hund hat das Feingefühl besessen, seine Wahrheit zu meinen Füßen abzulegen. Ich habe mich ihrer bedient und verteile nun.«
    »Die Leute in diesem Ort sind anständig«, fuhr Blanchet mit lauter Stimme fort. »Und Sie stiften Durcheinander in Port-Nicolas. Sie beschuldigen uns, eine alte Frau umgebracht zu haben, und der Bürgermeister widerspricht nicht. Ich schon. Die Leute von Port-Nicolas sind keine Mörder, und doch sind sie Ihretwegen nun Gegenstand unerträglicher Verdächtigungen.«
    Leises Stimmengewirr, beifälliges Murmeln folgte den Worten Blanchets. Darnas verzog das Gesicht. Diejenigen, die Blanchets Sache noch nicht ergeben waren, konnten umkippen, Blanchet hatte die Zweckmäßigkeit erkannt und die Gelegenheit, ohne zu zögern, beim Schopf ergriffen.
    »Wollen Sie meine Meinung wissen?« fuhr Blanchet fort. »Die Sache mit Marie ist ein Manöver in Absprache mit dem Bürgermeister, und ich werde den wahren Beweggrund herausfinden. Sie werden es mit mir zu tun kriegen, und ich werde diese Leute verteidigen, Monsieur … Tut mir leid, ich habe Ihren Namen nicht behalten, er schien mir kompliziert auszusprechen.«
    »Vorsicht«, sagte Sevran leise zu Marc. »Blanchet sucht Streit. Vielleicht werden wir uns einmischen müssen, Kehlweiler ist nicht von hier, er wird nicht viele auf seiner Seite haben. Es sind korrekte Leute, außer wenn sie aufhören, es zu sein.«
    »Keine Sorge«, flüsterte Marc, »Louis ist bewaffnet.«
    »Bewaffnet?«
    »Seine Zunge.«
    »Blanchet kann auch reden«, murmelte Sevran kopfschüttelnd. »Er ist sogar der Lautsprecher des Ortes. Er ist ein unseliger Kerl mit säckeweise stereotypen Sätzen, der die dramatische Kunst beherrscht, zu überzeugen. Er ist sehr viel durchtriebener, als er sich den Anschein gibt.«
    Louis hatte sich seinerseits leicht zu Blanchet gedreht, und Marc stellte mit Befriedigung fest, daß er ihn mühelos überragte. Er hatte seinen Körper in die Höhe gestreckt, er hielt sich sehr aufrecht, an seiner Seite sah Blanchet aus wie gestaucht. Ein Vorteil ohne alles Verdienst, aber doch ein Vorteil. Louis sah den Mann starr an, und sein jetzt gerade strenges und unbestimmt

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