Das Orakel von Port-nicolas
verächtliches Profil hatte nichts Verlockendes.
Das Stimmengewirr im Raum wurde lauter. Leute erhoben sich, andere verließen das Hinterzimmer, um den Kopf in Richtung Theke zu strecken.
»Nicht jeder kann einen einfachen Namen tragen, Monsieur Blanchet«, sagte Louis langsam und mit einer Stimme, in der Marc eine ganze Palette gefährlicher Freundlichkeiten hörte. »Aber ich bin sicher, daß Sie es, intelligent wie Sie scheinbar sind, mit einer leichten Anstrengung schaffen werden, ihn auszusprechen. Er hat nur drei Silben.«
»Kehlweiler«, artikulierte Blanchet mit vorgeschobenen Lippen.
»Kompliment, Sie sind begabt für fremde Sprachen.«
»Das liegt daran, daß man uns in Frankreich eine lange Ausbildung gegeben hat, und wir haben ein gutes Gedächtnis, selbst nach fünfzig Jahren.«
»Und ich sehe, daß Sie die Gelegenheit ergriffen haben, sich weiterzubilden.«
Blanchet biß die Zähne zusammen, zögerte und trank einen Schluck Weißwein.
»Bleiben Sie lange bei uns?« fuhr er dann fort. »Oder haben Sie diesen Leuten, die Sie um nichts gebeten haben, genug angetan?«
»Da Sie es mir anbieten, bleibe ich möglicherweise noch ein Weilchen. Mir scheint in der Tat, daß ich nicht genug für Marie Lacasta getan habe, die um nichts gebeten hat und die mit einem Stein erschlagen wurde. Und offen gesagt, Sie zerstreuen mich, und mir gefällt es in diesem Café. Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie näher kennenzulernen. Madame Antoinette, bringen Sie mir noch ein Bier?«
Louis war äußerlich sanftmütig geblieben, René Blanchet hingegen versuchte nicht, die Ruhe zu bewahren, im Gegenteil.
»Jetzt wird er draufhalten«, murmelte Sevran. »Das ist sein System.«
Antoinette stellte ein Bier auf den Tresen, und Blanchet legte seine Finger auf Kehlweilers Jacke, wobei er dem dicken Eigner der Atalante ein Zeichen gab. Aber der Schiffseigner zögerte.
»Monsieur Blanchet«, sagte Louis und nahm die Finger weg, die seine Schulter hielten, »bleiben Sie schicklich, kleben Sie nicht an mir. Wir kennen uns kaum, aber ich werde Sie besuchen, da können Sie sicher sein. Es ist das große weiße Haus hinter dem Rathaus? Ein Stückchen weiter rechts?«
»Ich suche mir meine Gäste selbst aus, Monsieur Kehlweiler. Meine Tür steht Ihnen nicht offen.«
»Was ist eine Tür? Bestenfalls ein Symbol … Nun gut, wie Sie wollen, bei Ihnen oder anderswo, aber ich bitte Sie, lassen Sie mich dieses Bier in Frieden trinken, es wird schon warm.«
Marc lächelte, und am Ende hatte die Zuhörerschaft, von ein paar gleichgültigen Gesichtern abgesehen, aufgehört, Partei zu ergreifen, und amüsierte sich nur noch.
»Das stimmt«, mischte sich Antoinette plötzlich ein, die sehr empfindlich war, was die Qualität des Service im Café de la Halle anging. »Mach das Bier von dem Herrn nicht warm und halt jetzt die Klappe, René. Wenn Marie umgebracht worden ist, verdammt, wenn das wirklich stimmt, na, dann soll der Herr halt seine Arbeit machen, ich kapiere nicht, warum man ihm das vorwerfen sollte. Wenn’s hier ein schwarzes Schaf gibt, ist es besser, man weiß es, ist hier doch nicht besser als anderswo. Du ruinierst uns noch.«
Marc sah Sevran erstaunt an.
»Sie redet immer so«, erklärte Sevran lächelnd. »Würde man nicht meinen, was?«
»Antoinette«, sagte Louis, »Sie sind eine Frau mit gesundem Menschenverstand.«
»Ich habe bei den Fischauktionen in Concarneau gearbeitet und kenne die Welt. Unter den Fischen ist manchmal ein vergammelter, das kann in jedem Hafen vorkommen, in Port-Nicolas wie anderswo, das ist alles.«
»Antoinette«, sagte Blanchet, »du wirst doch nicht …«
»Jetzt reicht’s, René, halt deine Reden auf der Straße, ich muß für meine Kundschaft dasein.«
»Und du nimmst wahllos jeden als Kunden?«
»Ich nehme Männer, die Durst haben, ist das eine Sünde? Es wird nicht heißen können, Antoinette hätte einen durstigen Mann nicht bedient, wo immer er auch herkommt, verstehst du mich, wo immer er auch herkommt!«
»Ich habe Durst«, sagte Louis. »Antoinette, noch ein Bier vom Faß.«
Blanchet zuckte mit den Achseln, und Marc sah, wie er seine Taktik änderte. Er gab Antoinette einen dicken Klaps auf den Arm und ging seufzend, mit dem Ausdruck eines gutmütigen, versöhnlichen Verlierers, der beim Würfeln verloren hat und keine große Sache daraus macht, ein Hitzkopf, aber braver Kerl, zum Tisch der Fischer, um dort seinen Hintern und sein Weißweinglas abzusetzen. Antoinette
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