Das Orakel von Port-nicolas
gemacht?«
»Er suchte das Land nach Maschinen ab. Sevran hatte Diego kennengelernt, als der kümmerlich vom Trödel lebte, und ihn in seine Dienste genommen. Kurz, Diego hat Marie zwei Monate nach der Heirat von Sevran und Lina geheiratet. Dann sind sie alle hierhergezogen.«
Geduldig setzte sich Louis ebenfalls. Er fragte sich, wie man eine Geschichte nur so schlecht erzählen konnte. Chevalier hatte ganz entschieden einen schwammigen Geist.
»Hat sich Lina scheiden lassen, um Sevran zu heiraten?«
»Aber nein, Himmelherrgott, das war doch nach dem Unfall. Ihr Mann ist vom Balkon gefallen, ein Schwächeanfall. Sie war Witwe.«
»Aha. Erzählen Sie mir das.«
»Witwe halt. Ihr Mann ist vom Balkon gefallen. Ich kenne die Geschichte nur von Marie, denn Lina erträgt es nicht, daß man darüber redet. Sie und Marie waren mit den Kindern allein. Lina las in ihrem Zimmer, Thomas rauchte noch eine Zigarette auf dem Balkon. Lina macht sich noch immer Vorwürfe, ihn allein gelassen zu haben, wo er doch so viel getrunken hatte. Das ist idiotisch, wie hätte sie das vorhersehen können?«
»Wo war das in Paris? Wissen Sie das?«
Chevalier seufzte erneut.
»Im 15. Arrondissement, Rue de l’Abbé-Groult. Fragen Sie mich nicht nach der Hausnummer, Herrgottnochmal, ich weiß sie nicht.«
»Regen Sie sich nicht auf, Chevalier. Ich versuche nur, mir die Sache klarzumachen, nicht, Sie zu nerven. Lina ist also Witwe, mit den beiden Kindern und Marie. Und dann?«
»Ein Jahr später hat sie sich dem Freund Sevran zugewandt und ihn geheiratet.«
»Natürlich.«
»Sie hatte die Kinder zu ernähren, keine Arbeit, kein Geld mehr. Ihr Mann hatte ihr nur die Maschinen hinterlassen, sehr schöne übrigens, mit denen sie aber nichts anzufangen wußte. Sie hat erneut geheiratet. Ich vermute allerdings, daß sie den Ingenieur liebte, ich bin mir fast sicher. Er hat sie wirklich aus der Situation herausgeholt. Gut, wie auch immer, alle haben geheiratet, und Sevran ist mit der ganzen Truppe hierhergezogen. Und jetzt interessiert sich Guerrec für diesen Diego, von dem man letzten Endes nichts weiß, auch Sevran nicht, der ihm begegnet ist, als er irgendwelchen Kleinkram auf einem Provinzmarkt verkaufte. Ich habe Guerrec gesagt, was ich alles Gutes von Diego gehalten habe, ein verläßlicher, allerdings auch sehr gefühlvoller Mann, aber rechtschaffen und beherzt, er stand jeden Tag um sechs auf. Als er verschwunden ist, hat er allen gefehlt. Was Marie angeht … Noch vor vierzehn Tagen hat sie auf ihn gewartet.«
»Das ist traurig.«
»Sehr. Und, unter uns, saublöd für die Gemeinde, wirklich saublöd.«
»Womit wird Guerrec anfangen?«
»Mit Ihnen, dann kommen die Sevrans, dann alle anderen … Er und sein Stellvertreter werden sich alle erdenkliche Mühe mit den Alibis geben, aber das wird nicht viel bringen. Hier in der Gegend fahren alle ständig rum.«
»Haben sie Sie nach Ihrem gefragt?«
»Wozu?«
»Haben sie Sie gefragt?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Dann kommt das noch.«
»Wollen Sie mich etwa reinreiten? Ist das Ihr Vergnügen im Leben?«
»Und Sie, glauben Sie nicht, daß Sie Marie reingeritten haben? Mit René Blanchet? Mit der Untersuchung seiner Mülltonnen? Ist das Ihr Vergnügen?«
Der Bürgermeister verzog leicht das Gesicht, bog ohne Knacken seine Finger nach hinten, aber rührte sich nicht auf seinem Stuhl. Unglaublich, dieser Typ, wirklich wie ein Teich, wie eine Pfütze. Louis war schon immer vom Element des Flüssigen fasziniert gewesen. Man gießt es in eine Tasse, und es ist flach. Man neigt die Tasse, die Flüssigkeit neigt sich, aber die Oberfläche bleibt flach, immer flach. Selbst herumgedreht und in alle Richtungen gezerrt bleibt das Wasser flach. So war der Bürgermeister. Man hätte ihn auf unter Null bringen müssen, um ihn zu packen. Aber Louis war sicher, daß der Bürgermeister, selbst wenn es gelänge, ihn einzufrieren, dafür sorgen würde, an der Oberfläche zu frieren und jegliche Sicht zu behindern.
»Ist es kalt hier im Winter?« fragte er.
»Selten«, antwortete Chevalier mechanisch. »Es friert hier nur in Ausnahmefällen.«
»Dann eben nicht.«
»Wie haben Sie die Geschichte von Marie und den Mülltonnen von Blanchet erfahren? Haben Sie sie in einer Kristallkugel gelesen oder in einem Hundehaufen?«
»Sie haben ihr diese kleinen Untersuchungen doch aufgetragen?«
»Ja, das war ich. Ich habe sie nicht gezwungen, und ich habe sie entschädigt.«
»Wonach haben Sie
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